Das klingende Welttheater des Eros
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Mozarts Forderung an das Musiktheater könnte nicht deutlicher sein: 'Š bey einer opera muss schlechterdings die Poesie (das Libretto) der Musick gehorsame Tochter seyn.' Der Satz ist oft zitiert, seine Konsequenz aber kaum je beachtet worden. Er sagt nicht weniger, als dass Mozarts Opern nicht Drama mit Musik sind, sondern Drama durch Musik. Das Libretto bestimmt nur den äusseren Verlauf des Werkes, die treibende Kraft liegt in den Tönen. Wenn dem so ist, muss in der Partitur weit mehr zu finden sein als die Umsetzung von Gefühlen. Aus der Musik muss zu lesen sein, wie sich die Figuren bewegen, wie sie sich begegnen, was sie empfinden, ob sie die Wahrheit sagen oder lügen. Dazu aber braucht der Komponist ein 'klingendes Vokabular'. Ist man in der Lage, es zu entziffern, eröffnet sich dem Hörer eine differenzierte Klangrede, die sich nicht nur auf das Opernwerk beschränkt. Der Galopp eines durchgebrannten Pferdes ist nicht nur Klangmetapher für die erwachte Leidenschaft des Cherubino in 'Figaro', sondern auch die treibende Kraft im ersten Satz der g-Moll-Sinfonie. Die Metapher der Flügelschläge findet man in der Darstellung der Liebeserwartung ('Figaro'), der Flatterhaftigkeit ('Così fan tutte') und der Verwandlung im Tod ('Requiem'). Das vorliegende Buch deutet 'Le nozze di Figaro' aus diesem Blickwinkel. Es zeigt auf, dass man durch Mozarts Musik nicht nur den Gesang der handelnden Figur vernimmt, sondern auch deren seelische Befindlichkeit, deren Haltung und Bewegung. Schon in der ersten Nummer bemerkt man mit Staunen, wie Mozarts Musik den Verlauf des Gespräches bestimmt, wie das Paar Susanna und Figaro streitet, obwohl davon im Libretto kein Wort steht. Ja sogar die Beleuchtung auf der Bühne und wie sich der Vorhang zu öffnen hat, sind in den Tönen festgehalten. Verfolgt man den Gang der Oper in solcher Weise, entdeckt man hinter der 'opera buffa', wie sie Mozart im 'Verzeichnüss aller meiner Werke' nennt, mehr als eine Komödie: ein klingendes Welttheater des Eros.