"Literatur ist demokratisch"
Autoři
Více o knize
Der Satz, der der vorliegenden Göttinger Dissertation als Motto und Leifaden dient, „Literatur ist demokratisch“, steht in der zuletzt geschriebenen Vorrede zu den Betrachtungen eines Unpolitischen und lässt erkennen, dass Thomas Mann nach getaner Arbeit seine anfangs ablehnende Haltung gegenüber der Demokratie zu revidieren bereit war. Wilfried Opitz nimmt Thomas Mann beim Wort und möchte zeigen, dass dieser vielfach als konservativ, ja reaktionär abgestempelte Schriftsteller in den Jahren vor 1914 im Grunde eine „liberale Einstellung“ (19) an den Tag gelegt habe, an die er nach dem Krieg anknüpfen konnte. Sie manifestiere sich in seiner Stellungnahme zu ästhetischen Fragen („Bilse und ich“; „Versuch über das Theater“; „Geist und Kunst“), in seiner Mitarbeit an dem Münchener Zensurbeirat und nicht zuletzt in den „demokratisch konnotierten Erzählsituationen“ (ebda.) in den vor 1914 entstandenen Erzählwerken. Hier zieht Opitz in der Hauptsache Buddenbrooks (Morten Schwarzkopf) und Königliche Hoheit heran. Wie schon Hermann Bahr erkannte und wie zuletzt Heinrich Detering gezeigt hat, markiert Thomas Manns zweiter Roman mit seiner anachronistischen Hinwendung zum Adel und zur monarchischen Regierungsform eine „geistige Wendung zum Demokratischen“ (84). Opitz´ Analyse bestätigt und belegt diese Befunde. Wer den Thomas Mann vor 1914 als einen Liberalen vorstellt, kann nicht umhin, einen „Bruch“ in seinem politischen Denken zu konstatieren angesichts der Kriegsschriften von 1914, in denen er den großen Krieg willkommen heißt. Opitz spricht hier gar von einem „Sündenfall“ (195). Wie es zu diesem Bruch gekommen sein mag und in welchem Verhältnis die Betrachtungen zu der liberalen Anfangsphase stehen, bleibt jedoch im Dunkel. In dem in der Thomas Mann-Literatur anhängigen Streit, ob bezüglich der politischen Anschauungen dieses Autors von Wandel oder Kontinuität zu sprechen ist, ob ein Lernprozess stattgefunden hat oder ob er im Grunde der große Unpolitische geblieben ist, als der er sich selbst charakterisiert hat, stellt sich Opitz entschieden auf die Seite des Wandels und des politischen Lernprozesses. Was die viel diskutierte republikanische Wende Thomas Manns betrifft, wirft Opitz eine beachtenswerte Differenzierung in die Debatte. Nicht, wie oft angenommen, die Rede Von deutscher Republik markiere eine Wende, denn darin operiere Thomas Mann noch mit einem ästhetizistischen und eigentlich mythischen Begriff von Republik, sondern erst die ein Jahr später (1923) verfasste Gedenkrede auf Rathenau. […] Hans Rudolf Vaget, Smith College in: Monatshefte für deutschsprachige Literatur und Kultur Volume 103, No. 2,2011