Erziehungssetting als moralische Lernkultur
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In der Untersuchung wird am Beispiel einer pädagogisch-sozialen Einrichtung im Norden Thailands ein tiefer Einblick in die kulturellen Besonderheiten bei der Erziehung und Formung von Kindern ethnischer Minderheiten im Sinne der thailändischen Mehrheitskultur und -religion gegeben. Den Ausgangspunkt für die Studie bildete die Idee, lokale Konzepte von „Traumata“ und entsprechende Umgangsformen mit den überwiegend sozial benachteiligten Kindern im Einrichtungssetting zu untersuchen. Eine Besonderheit der Untersuchung besteht darin, dass über den eineinhalbjährigen Aufenthalt der Autorin im Setting hinweg die Struktur des Forschungsgegenstandes andere Themen vorgab als die ursprünglich an das Feld herangetragenen Fragestellungen. So verschob sich im Rahmen des Erkenntnisgeschehens die thematische Fokussierung der Untersuchung weg von einer pathologisierenden Perspektive auf „traumatisierte“ Kinder hin zur Betrachtung ihrer Erziehung zu „Wohlverhalten“ im Rahmen einer „moralischen Lernkultur“. Das alltägliche erzieherische Geschehen wurde dabei als wiederkehrende Inszenierungen interpretiert, durch die die Gültigkeit von Werten und Normen bestätigt und „thailändische Kultur“ von den Kindern der ethnischen Minderheitengruppen „einverleibt“ wird. Kindern wird dabei durch vielfältige soziale und schulische Rituale beigebracht, wie sie ihren rechten Platz in der sozialen Ordnung finden. Auf diese Weise werden sie zu kompetenten Mitgliedern einer sozialen Gemeinschaft erzogen. Insgesamt wird das Erziehungsgeschehen als „kompensatorisch“ dargestellt, da die thailändische Lehrerschaft den Kindern auf Grund ihrer ethnischen Herkunft einen Mangel zuschreibt, der im Sinne eines „Thaiwerdens“ auf umfassende Weise ausgeglichen werden muss. Im Vordergrund steht die Veränderung der thematischen, theoretischen und methodischen Orientierungen im Sinne einer wachsenden Angemessenheit an den Forschungsgegenstand. Dabei wird durch die Übernahme eines bestimmten heuristischen Forschungsstils bzw. einer Erkenntnishaltung im Rahmen des Forschungszugangs der Grounded Theory eine enge und einseitige disziplinäre Perspektivität überschritten. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen eindrücklich, dass der Erziehungsprozess in der Einrichtung sehr stark vom soziokulturellen Kontext abhängt: trotz „westlicher“ Beteiligung erhält sich im Setting eine „thailändische“ Sozialisationsinstanz für Kinder ethnischer Minderheiten aufrecht. Dies führt zur Ableitung von Implikationen für die Kooperation zwischen Kulturen - so wird davor gewarnt, dass die in „westlich“ -psychologischen Theorien und Interventionsansätzen (z. B. Konzepten von „Trauma“) häufig enthaltene spezifische (kognitive, individuumszentrierte) Perspektivität im Widerspruch zu sozialen Praktiken und moralischen Ordnungen anderer kultureller Kontexte stehen kann.