Intrigen - die Macht der Möglichkeiten in der mittelhochdeutschen Epik
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Anhand einer Auswahl mittelhochdeutscher Romane und Epen aus dem 12. bis 14. Jahrhundert geht die Autorin dem literarischen Motiv der Intrige in der Epoche des höfischen Mittelalters nach. Der bislang in der Mediävistik konturlose Intrigenbegriff erhält so zunächst eine substantiierte Definition, auf dessen Grundlage die Nuancen und Variationen von Intrigenhandlungen herausgearbeitet werden. Intrigen sind nicht nur ein wichtiges Motiv mittelhochdeutscher Erzählungen, sondern oft ein unverzichtbarer Bestandteil: Ohne Intrigen gäbe es kein ‚Rolandslied‘, die Geschichte um ‚Herzog Ernst‘ wäre nach nicht einmal 650 Versen auserzählt, Tristan bliebe ohne Isolde und die Tragik des ‚Nibelungenliedes‘ wäre ebenso wenig zustande gekommen wie das glückliche Ende des ‚Iwein‘. Intrigen beeinflussen die Erzählstruktur mittelhochdeutscher Großepik maßgeblich. Nicht selten sind sie das primum movens eines Textes. Mit ihrem handlungsdynamischen Potential bewegen Intrigen Figuren zum Handeln, brechen die Statik harmonischer Figurenkonstellationen auf, schaffen Konflikte, Spannungsbögen und nachvollziehbare Handlungsmotivationen und verhindern auf diese Weise den Abbruch der Erzählung. Somit sind Intrigen nicht nur innerhalb der Erzählung unverzichtbar, sondern auch extradiegetisch für den Erzähler und Dichter einer Geschichte. Das Intrigenpersonal besteht aus komplexen, mehrdimensionalen Figuren, die sich über das Fatum hinwegzusetzen versuchen. Sie sind in der Lage auf einer äußeren, den anderen Figuren der Erzählung sichtbaren, Ebene anders zu erscheinen, als sie nach innen denken und fühlen. Das Mittel der Intrige zur Konfliktbewältigung wird dann gewählt, wenn eine offene Auseinandersetzung nicht möglich oder nicht Erfolg versprechend ist (z. B. durch die Unbesiegbarkeit idealer Helden, die Beziehungsgefüge am Hof, komplexe Familienstrukturen). Daher bieten Intrigen gerade Frauenfiguren, die aufgrund ihrer Rollenkonzeption in mittelalterlichen Erzählungen auf Passivität angelegt sind, neue Handlungsmöglichkeiten. Die Intrige in ihrer vielfältigen Ausgestaltung ist in der Literatur der höfischen Epoche weit verbreitet und übernimmt verschiedene erzähltechnische Funktionen. Als Schnittstelle zwischen Dramatik, Handlungsdynamik und Figuren-Genese ist sie verflochten mit Machtkonstellationen des öffentlichen und privaten Raumes und setzt neue Impulse für die Fiktionalitätsdebatte. Untersucht werden das ‚Rolandslied‘ des Pfaffen Konrad, Strickers ‚Karl‘, das ‚Nibelungenlied‘, der ‚Herzog Ernst B‘, Gottfrieds von Straßburg ‚Tristan‘, der ‚Iwein‘ Hartmanns von Aue, ‚Die Krone‘ Heinrichs von dem Türlin, Herborts von Fritzlar ‚Liet von Troye‘, der ‚Trojanerkrieg‘ Konrads von Würzburg und der ‚Friedrich von Schwaben‘.