Prozessarchitekturen
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Um 1880 entsteht ein neuartiges Konzept von Architektur: Im Zuge des ansteigenden Bau-, Produktions- und Verkehrsaufkommens der Gründerzeit sind Architekten mit der drängenden Aufgabe konfrontiert, die Vielzahl der neu zu errichtenden Zweckbauten im Deutschen Reich auf ideale Weise zu gestalten. Wie sind Postämter, Schlachthöfe, Bahnhofsgebäude, Desinfektionsanlagen oder Brauereien räumlich zu organisieren, damit das entsteht, was man zeitgenössisch »reibungslosen Betrieb« nennt? Die Antwort auf diese Frage sind Prozessarchitekturen. An der disziplinären Schnittstelle von Kultur-, Medien- und Architekturgeschichte beschreibt Susanne Jany Architektur erstmals als Medium der Betriebsorganisation und legt so die Vorgeschichte derjenigen Baupraxis frei, die im 20. Jahrhundert unter den Stichworten Funktionalismus und Rationalisierung bekannt geworden ist. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts beginnt man, die räumliche Disposition öffentlicher, privatwirtschaftlicher und industrieller Bauten zugleich als Voraussetzung und Resultat der sich in ihnen vollziehenden Arbeits- und Betriebsabläufe zu verstehen. Ein solches prozessarchitektonisches Bauen ist mit dem Phantasma der architektonischen »Verarbeitung« von Menschen und Dingen verbunden - eine Idee, die bereits in ihrer problematischen Formulierung, spätestens jedoch in ihrer Umsetzung kulturelle, soziale und politische Untiefen auslotet. So wird auf der Grundlage der rekonstruierten Prozessarchitekturen zugleich eine Kulturgeschichte der langen Jahrhundertwende erzählt: Kritische Auseinandersetzungen, wie sie sich an Post- und Bankschaltern entzünden, werden ebenso thematisiert wie die kollektive Furcht vor Kontaminationen um 1900 oder das Motiv der Menschen- und Objektflüsse, die im Stummfilm der Weimarer Republik durch Gebäude hindurch prozessiert werden.