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Reine Formsache

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Was schafft es heute in die Medien, in die Nachrichten? Das Aktuellste, Überraschendste, der Superlativ, auch und gerade beim Schlimmsten. Die Welt der Kunst ist keineswegs frei von Sensationsgier. Doch laden etwa Stillleben oder kleine Bilder zum lange währenden Hinsehen und Reflektieren ein, man denke an Werke eines Jan Vermeer oder Paul Klee, wo äußerlich also gerade nicht viel oder „gar nichts“ passiert. Für Plastiken gilt diese Handlungsarmut besonders häufig, gerade für die klassische der Antike über Michelangelo bis zu Maillol oder Brancusi: Das Sein geht ihnen vor, die äußere Bewegtheit muss gegenüber der inneren zurückstehen. Ist eine stehende, lehnende, sitzende oder liegende menschliche Figur ein banales Abbild oder stellt sie die Frage nach den Bedingungen unseres Daseins, dem Leben, dem Aufbegehren gegen die Schwerkraft oder anderen Kräften? Der Mensch blieb jedenfalls stets das große Thema der Plastik, von Ägypten (Schrittstand) und Griechenland (Kontrapost) bis in unsere Gegenwart, die auch für die Malerei wieder figürlicher geworden ist. Gegenüber dem bloßen „da sein“ spielt Handlung für die hier zu sehenden Kunstwerke keine große Rolle, ebenso wenig wie für die der Griechen. Keine Sorge, es geht Gudrun Emmert und Anne Haring nicht um eine Nachahmung der alten Griechen. Aber es geht um Fragen, die hier wie dort in der Bildenden Kunst gestellt und beantwortet werden und die tief in unser Selbstverständnis, unser Inneres eindringen (wer wir sind, woher wir kommen und so weiter). Wer solche Fragen zulässt, dem geht es nicht um ein schnell beruhigendes „hübsch“, nett oder dekorativ, sondern die oder der ringt um eine Antwort oder versucht zumindest die Frage immer wieder neu und schärfer zu stellen. „Reine Formsache“ - umgangssprachlich ist das eine ausschließliche Angelegenheit der Form in völliger Abgrenzung vom Inhalt. Hier meint der Titel der Ausstellung aber Reduktion aufs Wesentliche, auf die Sache Form. Reine Formsache bedeutet den Herstellungsprozess (das Malen bei Gudrun Emmert, plastisches Arbeiten bei Anne Haring) und zugleich den Gegenstand der Hervorbringung, also die Darstellung von etwas. Wir meinen etwas Wiedererkennbares zu sehen, das sich aber nicht völlig aus dem einmaligen Schöpfungsakt seiner Entstehung gelöst hat (Emmert). Oder wir sehen eine ungegenständliche Welt, die aus sich heraus Dinge hervorzubringen scheint (Emmert). Oder Figurationen, die einer Welt gegenüberstehen und sich darin zu behaupten oder zu erkennen versuchen (Haring) und eine Welt, die erst aus dem Menschen hervorgeht (Haring). Wer erkennt wen, wer ist Subjekt, wer Objekt? Das wiedererkennende Sehen begegnet dem Sehen des Schöpfungsvorgangs, dem „Unbekannten in der Kunst“, wie es Willi Baumeister genannt hat. Das Innere, Inhaltliche ist so der Formsache einbeschrieben. Dr. Bernhard Wehlen

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ISBN
9783945126578

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2019

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