Knihobot

Sylvia Sasse

    Michail Bachtin zur Einführung
    Jad v ucho
    Subversive Affirmation
    Verkehrungen ins Gegenteil
    Kollektivkörper
    Gerichtstheater
    • Gerichtstheater

      Drei sowjetische Agitgerichte: Gericht über eine Kurpfuscherin (1925), Gericht über Gott (1924), Gericht über einen Bücherschänder (1932)

      ''Gerichtstheater' war in der jungen Sowjetunion eines der populärsten Unterhaltungsgenres. Landesweit wurden kleine Broschüren mit Agitationsgerichten (Agitsudy) in Auflagen von teilweise bis zu 100'000 Exemplaren herausgegeben. Die Stücke gehören in den Bereich der Agitation und bilden die Grundlage für die enge Verbindung von Theater und Gericht, die bis heute in Russland zu beobachten ist. Die Stücke sind aber zum Teil auch sehr komisch, geradezu karnevalesk, wenn zum Beispiel Gott oder eine Mücke vor Gericht gestellt werden. Die drei hier ausgesuchten Agitgerichte stehen für unterschiedliche Phasen des Genres und zeigen, dass sich Theater und Gericht immer weniger voneinander unterscheiden lassen. Als das Genre in den 1930er Jahren verschwindet, wird es von einer theatralen Justiz, Laiengerichten und Schauprozessen regelrecht abgelöst. Die Stücke sind aber nicht nur relevant für die Überblendung von Theater und Justiz in der sowjetischen Gesellschaft, sondern auch für das Theater der 1920er Jahre. Sie bilden einen Kontrapunkt zu Brechts Lehrstücken, sind politisierter Ausdruck der Einbeziehung der Zuschauer, die immer mehr zu einer Illusion gerinnt. Auch Walter Benjamin, der als Zuschauer in das 'Gericht über eine Kurpfuscherin' gerät, ist sich, wie man im Moskauer Tagebuch nachlesen kann, zunächst nicht ganz sicher, ob er im Theater oder in einer Gerichtsverhandlung sitzt. Aus dem Vorwort: Gerichtstheater war in der jungen Sowjetunion eines der populärsten Unterhaltungsgenres. Landesweit wurden kleine Broschüren mit Gerichtsstücken in Auflagen von teilweise bis zu 100.000 Exemplaren herausgegeben. Die erste uns bekannte Broschüre stammt von 1921, sie wurde in Kiev gedruckt und enthält ein nur elfseitiges, stichwortartig verfasstes Skript zur Inszenierung eines Gerichts über eine Aufklärungstruppe, die ihre Gefechtsaufgabe nicht erfüllt hat (Sud nad razvedkoj, nevypolnivsej boevogo zadanija). Das Gerichtsstück war für die Aufführung im Theater der Roten Armee während des russischen Bürgerkriegs vorgesehen. Ab 1923 wurden dann massenweise Gerichtsstücke herausgegeben, und allmählich setzte sich der Begriff 'Agitgericht' (agitacionnyj sud, kurz agitsud) als Bezeichnung für das neue Theatergenre durch. Die Broschüren mit den Agitgerichten waren hauptsächlich für die Intendanten der neu entstehenden Arbeiter- und Bauernklubs in den Städten oder Lesehütten auf dem Land vorgesehen, die mit der Organisation der Freizeitgestaltung und des Kultur- und Aufklärungsprogramms für die Arbeiter oder Bauern beauftragt waren. Wie der Name sagt, sollten die inszenierten Gerichtsprozesse agitatorisch wirken: Sie sind vor allem Lehrstücke, die die Massen emotional und rational von der sowjetischen Politik überzeugen sollen und deren literarischer, ästhetischer und künstlerischer Wert zweitrangig ist. Die Autoren sind keine Literaten, sondern Ärzte, Agronomen oder Komsomolsekretäre. Über die dramatische Verhandlung von 'Problemen' des nachrevolutionären Alltags - die in den Stücken letztlich immer auf ein Fehlverhalten bestimmter Personen zurückgeführt werden können - sollten die Prinzipien und Ordnungen der neuen sowjetischen Gesellschaft propagiert werden. In den Gerichtsstücken zeigt sich die typische Ambivalenz der postrevolutionären 1920er Jahre: Sie verstehen sich als fortschrittlich, wenden sich gegen medizinisches Unwissen, informieren über neue Gesetze, z.B. über die Legalisierung von Aborten, fordern eine bessere medizinische Versorgung auf dem Dorf, klären darüber auf, was sich hinter religiösen Ritualen verbirgt, setzen Wissen gegen Wunder und üben gleichzeitig Verhaltensnormen und Disziplinierungsformen ein, die den Übergang von Religion und Kommunismus, von Kapitalismus und Diktatur fließend machen. Dass man es mit einem Theaterstück und nicht etwa mit einem Gerichtsprotokoll zu tun hat, entdeckt man in den Broschüren teilweise ers

      Gerichtstheater
    • Ob in Schlangen, Meuten, Massen, Gruppen oder Paaren - der/die Einzelne bewegt sich ständig geordnet und ungeordnet in Gemeinschaften. Einige konzipieren sich als imaginäre Körper, andere versuchen, den Einzelnen über körperliches Erleben in einer Gemeinschaft zu binden oder den Körper selbst wie einen Staat zu organisieren. Analogien zwischen dem menschlichen Körper - seinem Organismus, seiner Gesundheit, seinem Bauch und seinen Gliedern - und sozialen, staatlichen Formationen gehören seit der Antike zur Geschichte der Sozialphilosophie. Die Beiträge des Bandes, dessen Autoren aus verschiedenen Disziplinen stammen - u. a. aus der Ethnologie, Philosophie, Anthropologie und Kunstwissenschaft - nähern sich diesem Phänomen über die Analyse von cultural performances der Gemeinsamkeiten, Verbindungen, Identitäten, Aus- und Einschlüsse, die einen Körper in einen Kollektivkörper versetzen. Aus aktueller Perspektive beschäftigen sich die Beiträge vor allem mit dem Wandel in der heutigen Gesellschaft, die mit ihrer Politik des Individualismus immer mehr auf Kollektivkonzepte zurückgreift, indem sie sich diese unter umgekehrten Vorzeichen aneignet. U. a. mit Beiträgen von Judith Butler, Slavoj Zizek, Xavier Le Roy, Joseph Vogl.

      Kollektivkörper
    • Verkehrungen ins Gegenteil

      Über Subversion als Machttechnik

      • 188 stránek
      • 7 hodin čtení

      Spätestens seitdem ein faschistisch agierendes politisches System einen Krieg mittels »Entnazifizierung« rechtfertigt, ist klar: Verkehrungen ins Gegenteil sind eine allgegenwärtige Machttechnik. Doch nicht erst mit Putins autokratischem Regime, nicht erst durch Verschwörungstheorien oder Trumps Versuch, Fakten konsequent als Lüge zu deuten, können wir Verkehrungen beobachten. Wie Sylvia Sasse mit berückendem Blick nachweist, ist die Geschichte vielmehr voll von politischen wie medialen Strategien zur Erschaffung verkehrter Welten – und die Verkehrung ins Gegenteil ein direkter Angriff auf Differenz und Demokratie.

      Verkehrungen ins Gegenteil
    • Michail Bachtin zur Einführung

      • 222 stránek
      • 8 hodin čtení

      Michail Bachtin (1895-1975) – Grenzgänger zwischen Philosophie, Philologie und Linguistik – ist einer der inspirierendsten Denker des 20. Jahrhunderts. Seine theoretischen Entwürfe zur Polyphonie und Dialogizität des Wortes, zum „Chronotopos“ des Romans oder zum Karnevalesken als Gegenkultur haben die intellektuellen Debatten seit den späten 1970er Jahren bestimmt. Zu Lebzeiten jedoch wurde Bachtin kaum gelesen, nur wenige seiner Schriften konnten in der Sowjetunion unter seinem Namen erscheinen. Im sowjetischen intellektuellen Leben wurde er von offizieller Seite marginalisiert und in der Verbannung isoliert. Die Einführung stellt Bachtins bekannte und weniger bekannte Werke seit den frühen 1920er Jahren vor und ordnet diese in den kulturhistorischen Kontext ihrer Entstehung und ihrer verspäteten Rezeption ein.

      Michail Bachtin zur Einführung
    • Wortsünden

      Beichten und Gestehen in der russischen Literatur

      • 443 stránek
      • 16 hodin čtení

      Die russische Literatur ist voll von Beicht- und Geständnistexten. Die meisten dieser Texte verletzen die klassischen Parameter des Beichtens; sie sind im Sinne Michail Bachtins Antibeichten und selbst schon wieder Sünden – Wortsünden. Literarische Beichten und Geständnisse – so die These – wiederholen das Beichten und Gestehen nicht nur inhaltlich, sondern übertragen die Kommunikationssituation zwischen Beichtendem und Beichtvater, Gestehendem und Richter immer auch auf die Beziehung zwischen Text und Leser. Der Leser wird somit in Anrede, Anspruch und Adressierung vom Text aus bereits präfiguriert. Dem Lesenden kommt dann nicht mehr eine Unschuld oder Freiheit des Urteilens zu, sondern er ist als ästhetisch und juridisch Urteilender immer schon Figur des Textes.

      Wortsünden