Alexander Graf Stenbock-Fermor Knihy
- Peter Lorenz






Atemlos wie der erste Arbeitstag des „Freiwilligen Stenbock“ hinter der Kohlenschaufel, so legt man dieses Buch nach der Lektüre beiseite. Es handelt sich um einen Bericht über den Bergbau, der dennoch Spannung erzeugt. Der Autor, Graf Alexander Stenbock-Fermor (1902-1972), kam als Fremder ins Ruhrgebiet, wo sowohl der Bergbau als auch die Landschaft ihm unbekannt waren. Sein Bericht liest sich wie ein Abenteuer, eine Entdeckungsreise in eine neue Welt. Geboren in eine aristokratische Familie in Lettland, besuchte er ein Internat in Thüringen und kämpfte als junger Freiwilliger gegen die Rote Armee. Nach der Emigration nach Deutschland begann er ein Ingenieurstudium, entschied sich jedoch, ein Jahr lang als Bergmann im Ruhrgebiet zu arbeiten. Diese Erfahrung als „Proletarier unter Proletariern“ in Hamborn veränderte sein Leben nachhaltig. Sein fünf Jahre später erschienenes Buch „Meine Erlebnisse als Bergarbeiter“ ebnete seinen Weg als freier Schriftsteller. Zudem führte seine direkte Konfrontation mit der Arbeitswelt zu einer ideologischen Wende: Stenbock-Fermor, einst ein Weißgardist, wurde ein überzeugter Rotgardist und trat der Kommunistischen Partei bei. So entstand die Autobiographie „Der rote Graf“, die posthum veröffentlicht wurde.
Ruhrgebiet 1922/23: Besetzung durch Franzosen und Belgier, passiver Widerstand, Rheinische Republik, Hungersnot. In dieser turbulenten Zeit verdingt sich der baltische Graf Alexander Stenbock-Fermor „aus pekuniärer Not und wohl auch wegen einer gewissen Abenteuerlust“ als Schlepper auf einer Revier-Zeche, wohnt in einem Ledigen-Heim und erlebt über und unter Tage Ruhrgebiet pur. „Mein einziges Bestreben ist, rücksichtslos wahr zu sein; ohne Beschönigung oder Übertreibung erzähle ich nur das, was ich mit eigenen Augen gesehen und eigenen Ohren gehört habe. Wenn es mir gelingen sollte, das Verstehen für die in schwerer Arbeit und dumpfer Not lebenden Bergarbeiter zu heben, ist das erreicht, was mir als Sinn dieser Schrift vorschwebte.“
Kurt Tucholsky nannte es ein „lehrreiches Buch“; für Axel Eggebrecht war es „ein furchtbarer Reiseführer durch das Elend“ und Georg Schwarz attestierte dem Autor, „ein grauenhaftes Bild vom Zerfall unserer Kultur“ gezeichnet zu haben. Wie kam ein baltischer Adliger dazu, einen solchen Text zu verfassen? Alexander Graf Stenbock-Fermor (1902–1972) hatte nach Ende des Ersten Weltkrieges in den Reihen der Baltischen Landeswehr gegen die Bolschewiki gekämpft, ging dann zum Studium nach Deutschland und lernte als Werkstudent Bergarbeiter im Ruhrgebiet kennen. Unter dem Eindruck der Verhältnisse, die er dort sah, wandelte er sich vom Antikommunisten zum Kommunisten. Als Schriftsteller und Publizist war er Mitglied des Bundes Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller. Nach 1933 im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, wurde er nach Kriegsende von der Roten Armee als Oberbürgermeister von Neustrelitz eingesetzt. 1947 Chef lektor des Verlages Volk und Welt in Ost-Berlin, arbeitete er später als Drehbuchautor für die DEFA und pendelte, seit den 1950er-Jahren in Berlin-Wilmersdorf lebend, fortan zwischen Ost und West. In der 1931 erstmals erschienen Reportage Deutschland von unten schildert Stenbock- Fermor in sachlichem Ton die katastrophalen Lebensbedingungen am Rande der Gesellschaft. Angesichts heutiger Armutsberichte ein frappierend aktueller Bericht.