In der Vergangenheit erfolgte die Formung des Körpers in der Sphäre der (Erwerbs-) Arbeit. Mit der Informatisierung der Arbeit verliert diese ihren körperlichen Charakter. Im Dienstleistungssektor und in der Informationstechnologie entstehen zahlreiche Tätigkeitsbereiche, die keinen klar definierten und körperlich erkennbaren Berufshabitus mehr ausbilden. Im Gegensatz dazu scheinen sich immer mehr Menschen im Bereich der Freizeit einen körperlichen Habitus zu erwerben. In ihrem Streben nach Selbstgestaltung und Körperformung können sie dabei auf ein breit gefächertes, warenästhetisch überformtes und massenmedial vermitteltes Angebot an Körperbildern und -formen zurückgreifen, aus denen sie auf der Basis ihres sozialen Geschmacks und ihres Status auswählen. Die Ausprägung solcher körperlichen Formen verspricht die Zugehörigkeit zu einer distinktiven Gemeinschaft von Gleichgesinnten, deren Mitglieder durch ähnliche Vorlieben, Attribute und Zeichen verbunden sind. Aus der Sicht von Philosophie, Soziologie, Romanistik, Publizistik, Erziehungs-, Theater- und Sportwissenschaft untersuchen die vorliegenden Beiträge, in welchen Beziehungen neue Formen der Körper-, Bewegungs- und Spielkulturen zu anderen gesellschaftlichen Bereichen stehen. Der vorliegende Band geht auf eine gleichnamige Tagung zurück, die von Thomas Alkemeyer, Bernhard Boschert und Robert Schmid im Oktober 2001 in Berlin veranstaltet wurde.
Thomas Alkemeyer Knihy






Gegenwartsdiagnosen
Kulturelle Formen gesellschaftlicher Selbstproblematisierung in der Moderne
Das Geschäft der Gegenwartsdiagnose hat Konjunktur: Diagnostiziert werden in naher Zukunft drohende Klimakriege, der Kollaps der Energieversorgung oder gleich die Auslöschung der gesamten Menschheit, aber auch ein Verlust von ›Heimat‹, ›Werten‹ oder - im Zuge der Digitalisierung - kognitiven Fähigkeiten in der ›Jugend‹. Vor dem Hintergrund einer tiefen diagnostischen Prägung der modernen Welt- und Selbstwahrnehmung, in der tendenziell alles und jeder einem untersuchenden Blick unterzogen, vermessen und im Hinblick auf mögliche Fehlentwicklungen, Abweichungen und Bedrohungspotenziale ausgekundschaftet wird, untersuchen die Beiträge des Bandes, wie als Diagnosen auftretende Gegenwartsdeutungen entstehen und wirksam werden.
Jenseits der Person
Zur Subjektivierung von Kollektiven
Marketingstrategien versehen ihre Adressaten mit einer Corporate Identity, zivilgesellschaftliche Bewegungen verstehen sich als kollektive Akteure und Sportmannschaften setzen auf Teamgeist. Nicht nur Individuen, sondern auch Organisationen, Gemeinschaften, Teams, soziale Bewegungen und Städte werden zunehmend als Subjekte adressiert und formiert. Der Band versammelt erstmals interdisziplinäre Untersuchungen zur Entstehung kollektiver Subjekte. Die unterschiedlichen theoretischen und methodischen Zugänge ermöglichen neue Perspektiven auf Praktiken der Subjektivierung und halten Erkenntnisgewinne für die Organisations-, Netzwerk- und Bewegungsforschung bereit.
Die intensive Auseinandersetzung mit praxistheoretischen Konzepten in den Sozialwissenschaften hat der Bildungsforschung neue Impulse gegeben. Diese Konzepte eröffnen methodische Wege, um zentrale Dimensionen der Bildungspraxis zu erfassen und das Verhältnis von Theorie und Empirie anspruchsvoll zu bestimmen. Körper werden als Medien der Bildungspraktiken betrachtet, während Räume als materielle Arrangements verstanden werden, die die Subjekte auf vielfältige Weise ansprechen. Objekte in diesen Bildungsräumen agieren als eigenständige Entitäten, die die Bildungssubjekte herausfordern und hybride Konstellationen formen. Die Beiträge des Bandes vereinen diese Debatten und zeigen deren Verschränkung auf. Die Autorinnen und Autoren bieten empirisch fundierte Einblicke in alltägliche Bildungspraktiken und die Dynamiken verschiedener Bildungsinstitutionen. Dabei werden neue Wege aufgezeigt, wie Bildungspraxis innerhalb der Sozialwissenschaft analytisch erschlossen und theoretische Konzepte weiterentwickelt werden können. Der Band richtet sich an Vertreter/innen der Sozial-, Kultur- und Erziehungswissenschaft sowie an Studierende, die sich für Praxistheorien interessieren, die Vielschichtigkeit der Bildungspraxis als Herausforderung begreifen und Bildungsforschung jenseits evidenzbasierter Steuerungsvorstellungen betreiben.
Praxis denken
Konzepte und Kritik
Der Begriff der Praxis hat Konjunktur in den Sozialwissenschaften und Kulturtheorien. Doch bietet er mehr als nur eine Kritik des Subjekts im Namen von Körper, Materialität und Performativität? Themen wie Ethik, Sprache und Reflexivität werden fallen gelassen oder nur als Beobachtungsobjekte gesehen. Die Praxistheorie kann so ihren eigenen kritischen Anspruch nicht verteidigen. Der Band zeigt, wie anstößig und fruchtbar Praxistheorie dagegen sein kann, wenn es die Themen der Tradition neu zu denken versucht, anstatt sie nur zurückzuweisen.
Was »macht« ein Subjekt? Die Doppeldeutigkeit dieser praxistheoretischen Frage ist beabsichtigt: Mit dem Subjekt wird etwas getan - aber es wird auch selbst aktiv. Indem es eine kulturelle Subjektform verkörpert, wird es nicht nur als zurechnungsfähiger Akteur anerkennbar, sondern beeinflusst auch seine Umgebung. Mit dem Begriffspaar »Selbst-Bildung« und »Subjektivierung« gerät somit zugleich das spannungsvolle Ineinander von Doing Subject und Doing Culture in den Blick. Die geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Beiträge dieses Bands eint das Anliegen, kulturelle Spielräume der Subjektivierung unabhängig von gängigen historischen Epocheneinteilungen auszuloten.
Ordnung in Bewegung
Choreographien des Sozialen. Körper in Sport, Tanz, Arbeit und Bildung
- 199 stránek
- 7 hodin čtení
Wie stimmen Tänzer ihre Bewegungen aufeinander ab? Wie gelingt es Kampfkünstlern, augenblicklich den gegnerischen Angriff zu kontern? Und warum kann selbst beim Umgang mit High-Tech-Anlagen in der industriellen Produktion nicht auf das verkörperte Erfahrungswissen der Arbeiter verzichtet werden? Diesen und ähnlichen Fragen gehen die Beiträge des Bandes aus sozial-, kultur-, bewegungs- und sportwissenschaftlichen Perspektiven nach. Im Zentrum stehen Probleme des praktischen Hervorbringens sozialer Mikroordnungen und damit des dynamischen Zusammenspiels von Menschen, Körpern und Dingen.
An gegenwärtigen Sportentwicklungen lässt sich beobachten, dass zum einen in nahezu allen unterscheidbaren Feldern sportlicher Orientierungen und Praktiken sowie deren sozialen Rahmenbedingungen organisatorische Differenzierungen, Verzweigungen und Optimierungen auf der Ebene von Sportvereinen, Sportverbänden oder anderer Anbieter, z. B. Kommunen, Volkshochschulen und Krankenkassen, erzeugt und institutionell auf Dauer gestellt werden. Zum anderen werden aber auch zunehmend Alternativen gesucht und erprobt, Sport außerhalb derartiger Feld- und Rahmenbedingungen, z. B. in Freizeitgruppen und Szenen, selbst organisiert und nur wenig institutionalisiert zu betreiben. Diese gleichzeitigen Entwicklungen bildeten den Hintergrund für die Jahrestagung der dvs-Sektion Sportsoziologie 2002, aus der der vorliegende Band hervorgegangen ist. Er gibt einen Einblick in thematisch einschlägige Forschungstrends, Fragen und Projekte, will aber auch, gestützt auf empirische Untersuchungen, zur (sport-)soziologischen Theoriebildung beitragen und die theoretisch-empirische Forschung mit methodologischen sowie daraus abgeleiteten methodischen Fragen und Grundlagen vernetzen.
Pierre de Coubertin, der Begründer der modernen olympischen Bewegung, hatte die Spiele als ein Fest zur Ersatzverzauberung der Moderne konzipiert. Die deutschen Veranstalter von 1936 machten aus ihnen ein politisches Gesamtkunstwerk, das den Mythos, die Architektur, die Wettkämpfe, die Zuschauer und die Medien vollständig einbezog. Unter den Gesetzen des Spektakels gingen Olympismus und Nazismus ein enge Verbindung ein - die durch Rituale und Medienästhetik bis in die Gegenwarthineinwirkt.