"... wir Menschen alle sind Palimpseste ..."
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Diese Studie liest Hedwig Dohms Roman Schicksale einer Seele als intertextuellen Roman und geht dabei von zahlreichen Verweisen auf Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre aus. Wurde Schicksale einer Seele bislang überwiegend als Autobiographie der Autorin gelesen, so zeigt der textbezogene ästhetische Ansatz, wie der Roman schrittweise, auf unterschiedlichen Ebenen das Paradigma des klassischen Bildungsromans auf eine weibliche Biographie bezieht und das zitierte Muster dabei negativ wendet. Deutlich wird, daß die Ich-Erzählerin Marlene Bucher in ihrem eigenen Bildungsprozeß scheitern muß, weil sie als Frau dem Mann als „Fremde“ und „Andere“ entgegengesetzt und für den klassischen Bildungsprozeß funktionalisiert wird. Hedwig Dohms Roman liest Goethes Klassiker feministisch-gendersensibel und schlägt dabei das männlich dominierte Sprachsystem mit seinen eigenen Waffen. Schicksale einer Seele erweist sich als raffiniert und witzig konstruiertes, frappierend modernes Werk, das um das Verhältnis von Subjektivität und Textualität kreist. Es thematisiert über uneigentliches Sprechen uneigentliches, von außen vor- und festgeschriebenes Sein und stellt so letztlich beide Geschlechtsidentitäten in Frage. Die neue Lesart mündet in eine gender-kritische Diskussion um die von der Literaturgeschichtsschreibung männlich besetzte Gattung Bildungsroman. Die Autorin, geb. 1968, absolvierte ein Studium der Literaturwissenschaft, Soziologie und Philosophie in Karlsruhe und Freiburg im Breisgau. Sie arbeitet derzeit an ihrer Dissertation zum erzählerischen Werk von Friederike Helene Unger (1751-1813) und betreut das Scheffel-Archiv im Museum für Literatur am Oberrhein in Karlsruhe.