Mathematik im Surrealismus
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Wenn es um die Gruppe um André Breton und Louis Aragon geht, scheint geklärt, was „der Surrealismus“ sei: gestaltgewordenes Irrationales, bildgewordener Traum und wortgewaltiges Aufbegehren gegen alles, was auch nur den Anschein von Logik und Vernunft hat. Wenig oder gar nicht bekannt dagegen ist die intensive Auseinandersetzung dieser Gruppe mit den Naturwissenschaften und der Mathematik. Bei dem Mathematiker Henri Poincaré fanden diese Surrealisten nicht nur die Theorie des Konventionalismus, sondern auch jene von der Beteiligung des Unbewussten bei der mathematischen Erfindung; vom Mathematiker Felix Klein holten sie sich die Theorie der Anschauung und im Pariser „Institut Poincaré“ entdeckten sie die mathematischen Modelle, die Man Ray um 1934 fotografierte und die 1936 Bestandteil der „Surrealistischen Ausstellung von Objekten“ war. Abbildungen eben jener mathematischen Modelle verarbeitete Max Ernst in diversen Collagen. Doch sind es nicht mathematische Einzelprobleme, an denen dieser Surrealismus interessiert war. Die Mathematik als wissenschaftliche Disziplin lieferte die Basis nicht nur zur Begründung des Realitätsprinzips im Sur-Realismus, sondern auch zur Konstruktion des „Sur“ selbst. So wurde „die Mathematik“ auch diesem Surrealismus zum Mythos, allerdings zu einem, an dem gearbeitet wurde, und 1948 konnte Max Ernst mit einer Collage aus einer Allegorie der Mathematik eine Allegorie des Surrealismus entstehen lassen. Das Unbewusste musste logisch gemacht werden für den Gültigkeitsanspruch einer Kunst, in der die Rationalität und der Realismus überboten wurden. Dorothea Tanning kommentierte und dekonstruierte schon 1942 in ihrem Bild „Concerning wishes“ diese Konstruktion des Surrealismus und des männlichen surrealistischen Künstlers.