Unbewältigte Wirklichkeit
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Mythos wurde oft als ein rettender Gegenpol zu den Erfahrungen der Moderne aufgefasst. Die frühen Texte Thomas Manns aber zeigen ein ganz anderes Verhältnis zwischen Mythos und Moderne. Figuren werden zutiefst gedemütigt, bis sich alles Menschliche an ihnen zu verlieren scheint. Eine zerstörerische Gewalt bricht über sie herein, die in ihrer Totalität und Undurchschaubarkeit mythisch zu nennen ist. Diese Mythosauffassung wird hier durch eine philosophische Mythostradition beleuchtet, die von Vico über Benjamin bis zu Blumenberg reicht. Mythos wird so definiert als die Gleichzeitigkeit von Wirklichkeitsübermacht und dem Bemühen, sie zu bewältigen. Diese Duplizität des Mythischen gehört, wie zu zeigen versucht wird, selbst zur Struktur des Wirklichen. Das Mythische ist nicht nur das, was plötzlich aus der Ferne herankommen kann, sondern auch das, was immer schon da ist wie die Zeit und die Sprache; es konstituiert die menschliche Singularität und bedroht sie gleichzeitig. Die frühen Erzählungen zeigen das problematische Verhältnis eines Einzelnen zur Wirklichkeit. Der Roman Buddenbrooks dagegen stellt die mythische Struktur der Familie dar. Die Arbeit eröffnet eine neue Lesart des Mannschen Frühwerks. Die zum Teil wenig diskutierten frühen Erzählungen und Manns erster Roman lassen eine Problematik der Bewältigung erkennen, die erst viel später in Manns Werk explizit wird: mythisch vor der Mythisierung könnte man so das hier behandelte Werk – von Vision über Buddenbrooks bis zu Tristan und Wälsungenblut – charakterisieren.