Sigmund Freud als Essayist
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Sigmund Freud, der zur Jahrhundertwende noch namenlose Urheber jener später überaus mächtigen Psychoanalytischen Schule, findet sein grosses Thema - die terra incognita des Unterbewussten - nicht zuletzt infolge der unvermittelt einsetzenden Renaissance des deutschsprachigen Essays im Bannkreis der Literaten des fin de siécle. Freud wird insbesondere deren introspektiv formuliertes Kultur- und Kunstverständnis weidlich für seine Interessen zu nützen wissen, doch er wird es tun auf der Grundlage einer der massgeblichen textuellen Neuschöpfungen des 20. Jh. s, - dem psychoanalytischen Essay. Dank seiner essayistischen Innovation erschloss sich Freud eine Möglichkeit, das Scientifische seiner unorthodoxen Lehre mit den orthodoxen Mitteln des homme de lettres darzustellen, denn der 'Essayist' Freud sah sich der Notwendigkeit enthoben, die Prämissen seiner Gedankengebäude wissenschaftlich zu verifizieren. So findet Freud im psychoanalytischen Essay das Ideal einer Publikationsform, um seine Lehre gleichermassen ansprechend wie anspruchsvoll einem grösseren gebildeten Publikum nahezubringen. Das darin aufscheinende Formen- und Stilvokabular seiner Arbeit wird damit en passant zur fundamentalen Voraussetzung, den revolutionären Ideen der Psychoanalyse unter kulturkonservativer Mimikry das angestrebte Renommee zu verleihen. Über viele Facetten von Freuds Leben und Werk herrschen Zweifel, dieses aber scheint, so Michael Haas, evident zu werden: Freuds 'heimliches' Unterfangen, parallel zur revolutionären Idee der Psychoanalyse einen revolutionären Diskursträger zu gestalten, der - sowohl kunst- als auch formvollendet - nur seinen Zielen dient, seine Signatur trägt und eine Essayistik verwirklicht, die einer genuin freudianischen Rhetorik, Argumentation und Textstrategie verpflichtet bleibt, ist geglückt. Den Nachweis hierfür anzutreten, stellt das massgebliche Ziel von Michael Haas' Untersuchungen zu Sigmund Freud als Essayist dar, die sich primär auf eine detaillierte Ermittlung und Analyse der bei Freud vielfach gerühmten, doch bislang nur selten textnah erörterten Sprachvirtuosität konzentrieren.