Selbstverantwortete Gesundheit - selbstverantwortete Krankheit
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Es ist paradox, dass man heute zwar um die besondere Bedeutung sozialer und ökonomischer Lebensbedingungen für Gesundheit bzw. Krankheit weiß, dass diese im hegemonialen Diskurs und in der Alltagspraxis der Menschen aber keine Resonanz zu finden scheint. Der nahe liegende Gedanke, die sozialen und ökonomischen Lebensbedingungen für alle zu verbessern, erscheint chancenlos gegenüber dem Ruf und Versprechen, die Fitness für eine bessere Bewältigung des postfordistischen Lebens selbständig und selbstverantwortlich zu erreichen. Was herrschaftskritisch in diesem Zusammenhang als Zwang zur „Responsibiliserung“ oder auch als Zwang zur Selbstregierung beschrieben wird, scheint nicht nur für die dominanten Akteure im besonderen Raum der Politik faszinierend zu sein, sondern auch für die Politik der Menschen in ihrem Alltag. Dieses Programm der Eigenverantwortung braucht als Subjektmodell und Modellsubjekt den autonomen mit Geld und Kompetenz ausgestatteten Kunden. Der Wunsch, die Gesellschaft in Marktbeziehungen Einzelner aufzulösen, zeigt sich in der Vermarktlichung von Gesundheit als Dienstleistung. Aus dieser Logik leiten sich keine sozialen Grundrechte oder Rechtsansprüche ab, sondern Leistungs-Gegenleistungsbeziehungen. Wenn dies die Normalitätserwartung ist, dann verlieren soziale Ungleichheit und ökonomische Herrschaftsverhältnisse an Erklärungskraft – zugleich aber freilich auch an Gewicht als veränderbare Verhältnisse. Und diejenigen, die aus verschiedensten Gründen sich dieser Vernunfts- und Normalitätserwartung nicht beugen, werden dann zum Objekt durchaus auch repressiver professioneller und staatlicher Strategien. Das Heft enthält folgende SCHWERPUNKT-Beiträge: Michael Buestrich: Gesundheit in der entsicherten Arbeits(losen)gesellschaft; Christian Schultz: Psychotherapie für Erwerbslose – Hilfe oder Illusion?; Eckhard Rohrmann: Institutioneller Einschluss ist keine Antwort auf sozialen Ausschluss. Wider die murale Entsorgung sozialer Probleme in Deutschland. Kritische Anmerkungen zum 1. Heimbericht der Bundesregierung; Charlotte Jurk: Was macht Depression zur „Volkskrankheit“? Über die Karriere einer Diagnose; Henning Schmidt-Semisch und Jan Wehrheim: Exkludierende Toleranz oder: Der halbierte Erfolg der „akzeptierenden Drogenarbeit“; Heino Stöver: Substitutionsbehandlung für OpiatkonsumentInnen: Der lange Weg zum Erfolg! FORUM-Beitrag: Klaus-Uwe Gerhardt: Garantiertes Mindesteinkommen – eine Forderung für alle(s)?