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Mein Bild - meine Religion

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Der Kunst wird gern eine besondere Nähe zur Religion nachgesagt. Ist das womöglich nur mehr ein Ondit aus der Vergangenheit, als man Kunstwerken noch zutraute, in einem tieferen Sinne zu denken zu geben, durch ihre Imaginationskraft die Weltsicht zu verändern und zu weiten, der Existenz des Betrachters ungeahnte Perspektiven zu erschließen – zugleich Kritik wie Öffnung des Daseins und der Religion ebenso? Diese Vorstellung jedenfalls ist im Grunde romantisch, hat aber auch die Wiederentdeckung des Bildes im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts, wie sie von der kunstwissenschaftlichen Auseinandersetzung vornehmlich mit Werken der Moderne ausging, bewegt. Lange vor der Ausrufung des ‚iconic turn’ ging die Suche auf unbekannte oder verschollene Felder der Bedeutsamkeit, die sonst hinter der Dominanz des Wortes oder dem Dickicht der eingefahrenen Sehgewohnheiten verborgen bleiben mussten. Kunstwerke errangen neue Aufmerksamkeit als Orte des bildlichen Aufscheinens solcher Dimensionen von Bedeutung und zugleich als Repertoire eines hoch entwickelten methodischen Instrumentariums zur Entdeckung dieser Dimensionen. Für die Öffnung dieser unvordenklichen Regionen der Bedeutung schien es nicht mehr als einer Verfeinerung der Verfahren der Visualität zu bedürfen. Die gründliche Vertiefung in das einzelne Bildwerk war die hermeneutische Maxime für die Erschließung eines visuellen Kosmos, der eine Kritik des Sehens, Konzepte der Subjektivität und des Selbstbewusstseins wie Theorien über die Grenzen der Darstellbarkeit barg. Im Bild wurde die Reichweite des Sehens als Verfahren der Erkenntnis vermessen; die Grenzlinie zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren gab den Horizont, unter dem die Frage nach dem Bild gestellt war. Seither haben zahlreiche Analysen und Klassifizierungen unterschiedlicher Bildsprachen aus verschiedenen Gebieten des Wissens und der Kultur, sekundiert von semiotischen und anthropologischen Rahmentheorien, die dem Ausdrucks- und Erkenntnisvermögen des Bildes seinen spezifischen Ort zuweisen, das Terrain des Bildlichen weiter ergründet. Theorien solcher Art haben die Tendenz, über Bilder zu handeln, nicht aber, entlang den Bildern zu denken. Die Debatten gehorchen ganz anderen Kriterien. Sie sind auf eingegrenzte Fragestellungen beschränkt und im wissenschaftlich distanzierten Ton gehalten; das kritische und auch das religiöse Potential der Bilder selbst werden durch sie kaum noch berührt. Wo das Bild in zunehmendem Maße mehr als Gegenstand denn als Ort und Methode von Erkenntnis gewürdigt und so von der Traktierung durch die Einzelwissenschaften eingeholt wird, scheint eine Rückbesinnung auf sein erkenntniskritisches und damit auf sein im weiteren Sinne religiöses Potential angezeigt.

Parametry

ISBN
9783770545643
Nakladatelství
Fink

Kategorie

Varianta knihy

2007

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