General Graf von Schwerin und das Kriegsende in Aachen
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Im Jahr 1963 ehrte der Rat der Stadt Aachen den ehemaligen General der Panzertruppe Gerhard Graf von Schwerin mit der Umbenennung des Kornelimünsterweges in Graf- Schwerin-Straße. Der Rat zeichnete so den Offizier aus, der die militärische Kontrolle in Aachen übernahm, als amerikanische Truppen die Stadtgrenze erreichten. Die Ehrung, so führte der damalige Aachener Oberbürgermeister Hermann Heusch aus, sei „in dankbarer Würdigung der Tatsache, dass Graf von Schwerin sich im September 1944 als Abschnittskommandeur in Aachen trotz des für ihn damit verbundenen Risikos entschloß, die für die Stadt erlassene Räumungsverfügung aufzuheben“, erfolgt. Seit drei Jahrzehnten wurde von verschiedenen Seiten – aus Politik und Bürgerschaft – diese Entscheidung immer wieder scharf kritisiert. Insbesondere die Tatsache, dass unter Graf von Schwerins Kommando zwei Jugendliche wegen angeblicher Plünderungsdelikte von einem Standgericht verurteilt und erschossen worden waren, führte zu der Forderung, eine Rückbenennung der Straße zu veranlassen. Im Jahr 2006 entschloss sich der Aachener Stadtrat zu einer generellen Überprüfung des städtischen Straßenverzeichnisses, um Benennungen nach Personen, die „während der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im Sinne der Naziherrschaft gehandelt, das System durch ihr Handeln unterstützt oder gefördert haben“, rückgängig zu machen. Die Untersuchung im Fall der Graf-Schwerin-Straße wurde an Fachhistoriker des Lehr- und Forschungsgebietes Wirtschafts- und Sozialgeschichte der RWTH Aachen übertragen. Der dritte Band der Aachener Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte gibt den Inhalt dieses Gutachtens wieder, das die Ergebnisse der Recherchen zum Handeln Graf von Schwerins in Aachen im September 1944 zusammenfasst. In Zentrum ihrer Betrachtung haben die Autoren dabei zwei Fragen gestellt: Erstens, was ereignete sich wirklich zwischen dem 11. und dem 13. September 1944 in Aachen? Dabei galt es, die Fakten von den Historisierungsüberlagerungen der letzten 60 Jahre zu trennen und aus den Quellen eine Rekonstruktion jener Tage zu erarbeiten. Im Ergebnis muss der Schluss gezogen werden, dass Graf von Schwerin in Aachen den militärischen Handlungsrahmen nicht verließ, um der Stadt und ihrer Bevölkerung Zerstörung und Leid zu ersparen. Auf dieser Erkenntnis aufbauend, beantwortet der zweite Teil des Gutachtens die Frage, wie es dennoch nach 1945 zu einer Verklärung Schwerins als „Retter von Aachen“ kommen konnte? Auch dieser Teil analysiert aus zahlreichen Archiven zusammengetragene Quellenstücke und dekonstruiert einen Prozess, in dem die Absichten einer wachsenden Zahl unterschiedlicher, an einer Mythologisierung der Kriegsereignisse interessierter Akteure ineinander griffen und sich das Geschichtsbild Stück für Stück von der Realgeschichte entfernte.