Mit Schleier und Palette
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Es hat einen ganz besonderen Grund, dass ich Mutter Basilias Zeichnung „Wolf und Lamm, die sich die Hand reichen“ an den Anfang meiner Schilderung einer wahrhaft ungewöhnlichen Frau setze. Als sie mir das Blatt zeigte, dachte ich zunächst, es sei einfach ein Symbol christlicher Liebe, ein Friedensbild sozusagen. Doch je länger ich das Bild betrachtete, mit seinen so gegensätzlichen Tieren und dem Hintergrund, der teils Kirchenfenster und Klostermauern, teils eine weltliche Stadtkulisse zeigte, desto mehr dachte ich: das ist nicht nur eine allgemeine Darstellung der Versöhnung, sondern geradezu ein Symbolbild für die Persönlichkeit von Mutter Basilia selbst! Sie ist Ordensfrau und Künstlerin zugleich und schafft es, die beiden Welten, die in ihr wohl auch manches Mal miteinander gekämpft haben, friedlich „unter einen Hut“ zu bringen. Als ich gebeten wurde, die Geschichte der Altäbtissin aufzuschreiben, sah ich es zunächst nur als ehrenvolle Aufgabe, so eine Art Katalogtext zu verfassen. Aber je öfter ich nach Pertlstein fuhr, um mir von ihr erzählen zu lassen, desto mehr war ich in ihren Bann gezogen, und schließlich entwickelte sich das ganze zu einer aufregenden gemeinsamen Reise in die Vergangenheit und das Innere einer unglaublich faszinierenden Persönlichkeit, die ich im Lauf der Zeit in vielerlei Facetten erlebte: als ernste Ordensfrau in der Kirche oder wenn sie von religiösen Dingen sprach, als hochwissenschaftliche Philosophin, als lustige Tierfreundin, die gerne Besucher mit der Frage überraschte, wieviele Krallen eine Katze hat, als weltgewandte geistreiche Gesellschafterin in mehreren Sprachen, als phantasievolle Unterhalterin von Kindern, manchmal als weltoffene Rebellin mit fortschrittlichen Ideen, aber auch als erzkonservative Bewahrerin benediktinischer Klosterregeln und Lebensart, als Forschende und Suchende, wenn sie sich selber Grundbegriffe in Russisch oder Hebräisch beibrachte, um Inschriften auf Ikonen verstehen zu können, als Handwerkerin, als Künstlerin, vor allem beim Befassen mit religiöser Kunst, der absolut perfekten Vereinigung ihrer beiden Welten.