Nachbarschaft und Urbanisierung in Japan, 1890 - 1970
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Sozialwissenschaftliche Forschungen zur Entwicklung der Nachbarschaftsbeziehungen im modernen Japan haben sich bislang auf die Stadtviertelvereinigungen (chōnaikai) konzentriert und dabei zumeist die „gemeinschaftlichen“ Züge des sozialen Zusammenlebens betont, die sich trotz der in den 1880er Jahren einsetzenden Verstädterung bis ins 20. Jahrhundert erhalten hätten. Entgegen dem daraus abgeleiteten Bild der japanischen Großstadt als Ansammlung dorfähnlicher Gemeinschaften zeigt die mikrohistorische Analyse von Nachbarschaftserfahrungen anhand von Selbstzeugnissen einzelner Stadtbewohner jedoch, daß die Intensität und die Funktionen formeller und informeller Nachbarschaftsbeziehungen stark von der sozialen Schichtzugehörigkeit bestimmt wurden. Das Verhältnis zu den unmittelbaren Nachbarn und zur Stadtviertelvereinigung wurde vor allem durch die wirtschaftliche Lage, die Wohnverhältnisse und die Privatheitsnormen beeinflußt, die jeweils kennzeichnend für die Angehörigen der fünf sozialen Gruppen waren, aus denen sich die moderne japanische Stadtgesellschaft zusammensetzte. Während die Stadtbewohner seit dem Ende des 19. Jahrhunderts stets „von oben“, d. h. vom Zentralstaat, von den Stadtverwaltungen oder von einzelnen Wohnungsbaugesellschaften zur Bildung kooperativer Gemeinschaften angeregt wurden, zeigt die Betrachtung „von unten“, daß sich die moderne Stadtgesellschaft demgegenüber durch Diversität und Konflikthaftigkeit auszeichnete. Ein Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung der Nachbarschaftsbeziehungen in den Großwohnsiedlungen (danchi) der Nachkriegszeit, in denen sich die Nachbarschaftskultur der neuen Mittelschicht, die als typisch für die städtische Gesellschaft der Gegenwart gilt, bereits seit den 1950er Jahren entfalten konnte.