Tahrir und kein Zurück

Ägyptens Revolution wurde hauptsächlich getragen von jungen Menschen, die in gewissen Punkten mit den europäischen Revolten übereinstimmen: so verkörpern sie das junge Prekariat, das unter einer enormen Perspektivlosigkeit, in Ägypten zusätzlich Armut, Rassismus und extremer Repression leidet. Die Rede von der „Facebook-Generation“ verschleiert, dass es sich nicht mehrheitlich um Kinder der Mitte- und Oberschicht handelt, auch wenn deren Vertreter in den Medien häufig sehr präsent sind, die Mehrheit der an der Revolution beteiligten stammt aus einfachen Verhältnissen. Die Revolution hat nicht nur das Leben dieser jungen Menschen vollkommen verändert, mit der Revolution sind die jungen „Revolutionäre“ auch über Nacht zu einem politischen Akteur geworden, der die Richtung der Politik in Ägypten momentan wesentlich bestimmt. Da der Großteil der Protestierenden jedoch weiterhin unorganisiert ist und im wesentlich außerparlamentarisch und auf der Straße agiert, wird dieser Kern der Revolutionsbewegung von europäischen Medien und Analysten mit ihrer Konzentration auf organisierte Kräfte wie Parteien oder Gewerkschaften vernachlässigt oder gar nicht erst erfasst. Dieses Buch soll diese Lücke schließen und die Revolution in Ägypten aus einer linken/einer Bewegungsperspektive beleuchten – und dabei wo immer möglich, die ägyptischen Aktivist_innen selbst zu Wort kommen lassen, mit dem Ziel, einen Austausch auch mit hiesigen Bewegungen zu ermöglichen, unter der Frage: Worin lag ihr Erfolg? Wie ist der Brückenschlag mit anderen Teilen der Gesellschaft – von den liberalen über die Arbeiter_innen bis hin zu religiösen Kräften gelungen? Wie ist die Situation in Ägypten ein Jahr nach der Revolution, haben sich die Hoffnungen erfüllt oder nicht? Welchen Gruppen – der Armee, den islamistischen Bewegungen – stehen die jungen, zumeist progressiv orientierten Bewegungen gegenüber, welche Bündnisse gab und gibt es? Was können Bewegungen anderswo von den Ereignissen in Ägypten lernen, was lässt sich beispielsweise auf Europa übertragen, was nicht? In einem ersten Teil wird kurz die Situation vor der Revolution dargestellt sowie der Verlauf der Revolution im Januar thesenhaft beleuchtet. Der zweite Teil umfasst den Hauptteil des Buches, in ihm werden die politischen Akteure mittels Interviews, Porträts und analytischen Texten vorgestellt: die Jugend- bzw. Revolutionsbewegung, das Militär, Parteien sowie die religiösen Gruppen. Der dritte Teil beschreibt in mehreren Phasen, aufgelockert durch Reportagen und Geschichten, den Verlauf der politischen Neuordnung über das erste Jahr der Revolution. Das Buch schließt mit einer Diskussion der Perspektiven, die sich daraus ergeben, im Anhang finden die Leser_innen eine Erklärung der wichtigsten Begriffe sowie eine Zeitleiste zum Ablauf der Revolution.