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Der Werturteilsstreit in der deutschen Nationalökonomie

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Unter den heute lebenden Ökonomen fühlen sich wohl die meisten dem Prinzip einer werturteilsfreien Forschung und Lehre verpflichtet. Gleichwohl nehmen sie doch auch an wirtschaftspolitischer Beratung teil, die sich an bestimmten Werten und Zielen ausrichten muss und damit fast immer auch einen gewissen Grad der Parteinahme voraussetzt. Die Spannung zwischen dem Anspruch werturteilsfreier Wissenschaft und dem Wunsch politischer Gestaltung führte um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in eine heftige methodologische Debatte innerhalb der deutschsprachigen Ökonomik, die das Selbstverständnis der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften nachhaltig prägte. Während mit ökonomischen Themen befasste Denker, beginnend von der Antike bis ins 19. Jahrhundert hinein, davon ausgingen, die Wissenschaft habe den praktisch Handelnden auch normative Orientierung zu bieten und eine Ethik der Lebensführung zu vertreten, plädierten Max Weber und Werner Sombart im Werturteilsstreit für eine strikte Trennung zwischen werturteilsfreier Forschung und von Werten bestimmter Politik. Johannes Glaeser liefert eine ideengeschichtliche Rekonstruktion des Werturteilsstreits innerhalb des Fachs Nationalökonomie im Kaiserreich. Dabei wird die Genese unterschiedlicher wirtschaftspolitischer Ideale herausgearbeitet, in deren Dienst Ökonomen Wirtschaft und Technik stellen wollten. Die Vertreter der historischen Schule verknüpften die ökonomischen Produktivitäts- und Wohlfahrtsbegriffe mit unterschiedlichen Kulturidealen. Die Grenznutzenschule wiederum betrachtete das ökonomische Prinzip als ein wertneutrales. Auf der Wiener Produktivitätsdebatte 1909 im Verein für Socialpolitik (VfS) hinterfragte Max Weber beide Positionen. Er stemmte sich vehement gegen die Vorstellung, die im Zuge der modernen Rationalisierungstendenzen zum Siege gekommenen ökonomischen Effizienz- und Rentabilitätsprinzipien seien der werturteilsfreie Ausdruck eines Optimalzustandes. Seine zusammen mit Werner Sombart anhand der ökonomischen Fortschritts- und Wohlfahrtsbegriffe vorgebrachte Kritik an einer Vermengung von Tatsachenaussagen mit Werturteilen führte schließlich 1913/1914 zur Werturteilsdiskussion im VfS. Johannes Glaeser zeigt in dieser Arbeit die verschiedenen erkenntnislogischen Argumente auf, mit denen Ökonomen im Werturteilsstreit die Vermengung von Wissenschaft und Politik kritisierten oder umgekehrt den Anspruch einer „ethischen Nationalökonomie“ verteidigten.

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