Polyvarietät der Übersetzung
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Wenn schon von der Neuorientierung in der modernen Übersetzungswissenschaft die Rede ist, so sollte es sich dabei in erster Linie um die Überwindung der Kluft zwischen der Theorie und Praxis des Übersetzens handeln, die im Verlaufe der Entwicklung der Übersetzungstheorie und Etablierung der Disziplin „Translationswissenschaften“ entstanden ist. Die Übersetzungstheorie erntet dadurch bei den praktizierenden Übersetzern oft wenig Akzeptanz infolge ihrer entfernten Praxisorientierung. Die Unzufriedenheit der Übersetzungspraktiker ist jedoch nicht unbegründet, denn die zu verzeichnende Menge an Translationstheorien, die sich oft gegenseitig ausschließen und widerlegen, präsentieren eine in gewisser Hinsicht chaotische Situation in der Übersetzungswissenschaft, die sich entsprechend negativ auf die Übersetzungspraxis auswirkt. Der Grund dafür liegt wahrscheinlich darin, dass die Versuche, die letzten Endes zur Entwicklung zahlreicher Theorien und Ansätze beitrugen, das Übersetzen als Kunst theoretisch zu erfassen bzw. zu beschreiben, an der Komplexität dieser kreativen Tätigkeit scheitern und Begrenztheit ihres Vermögens aufweisen. Die Sicht auf den Prozess des Übersetzens als Kunst kann offensichtlich dadurch erklärt werden, dass er sich zwischen zwei antagonistischen Polen bewegt. Es wohnen, Goethes Ausspruch paraphrasierend, zwei Seelen in der Brust des Übersetzers: Auf der einen Seite sind das die linguistischen und pragmatischen Kenntnisse des Übersetzers, auf der anderen Seite seine Intuition, sein „übersetzerisches Fingerspritzengefühl“. Letzteres, Intuition, das übersetzerische Fingerspitzengefühl sind schwer sprach- sowie geisteswissenschaftlich erfassbar. Diese Tatsache stuft das Übersetzen in den Rang der Kunst, des Könnens ein, den Bereich der menschlichen Kognition, Psychologie, die eine Grundlage für die Beschreibung des Übersetzungsprozesses als Kunst bieten. Die Praxisorientierung der Übersetzungswissenschaft besteht daher darin, diese angewandter zu machen, sie in Richtung der Übersetzungspraxis zu bewegen, indem der Übersetzungsprozess mit kognitiven und psycholinguistischen Methoden bewusst beschrieben werden kann, deren Hintergrund Semiotik bietet. Ein bewusstes Erfassen von kognitiven Mechanismen des Übersetzungsprozesses schlägt eine Brücke zwischen der Theorie und Praxis des Übersetzens, denn es liefert auch ein unbegrenztes Potenzial für die Übersetzungsdidaktik als psychologische Disziplin, in der der Übersetzungsprozess, zerlegt in seine kognitiven Bestandteile, Mechanismen, in Form von Übungen eintrainiert werden kann, was sich letzten Endes über die Übersetzungsdidaktik in die Übersetzungspraxis ergießt. Dadurch kann ein kognitiver Wendepunkt in der Übersetzungswissenschaft, ihre Neuorientierung verzeichnet und die Lücke zwischen Übersetzungstheorie und Übersetzungspraxis geschlossen werden. Eine theoretische Basis hierfür stellt also die Zusammenwirkung von semiotischen, psycholinguistischen und kognitiven Aspekten dar, die sich miteinander überschneiden und dadurch gegenseitig ergänzen. Mit dieser komplexen Problematik setzt sich die Habilitationsschrift „Polyvarietät der Übersetzung“ von Igor Panasiuk auseinander.