Ostmenschen Westmenschen
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60 Fotos aus dem privaten Archiv des ostdeutschen Fotografen Dieter Demme stehen in dieser Ausstellung ebenso vielen Aufnahmen des Westdeutschen Pitze Eckart gegenüber. Und überraschen: Denn Eckarts „Westmenschen“ und Demmes „Ostmenschen“ sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Weder bei der Kleidung noch bei den Frisuren lassen sich eindeutige Unterscheidungsmerkmale ausmachen. Nur an der Marlboro-, CocaCola- oder Binding-Bier-Werbung ist der Westen oftmals erkennbar. Diese Verstörung macht die Ausstellung so interessant und geradezu aufklärerisch. Geboren im Entscheidungsjahr deutscher Zweistaatlichkeit 1949, hat Pitze Eckart stets aus der Perspektive seiner westdeutschen Sozialisation heraus sein Alltagsumfeld gesehen und fotografisch dokumentiert. Seine Bilderserien sind Facetten eines Gesellschaftspanoramas der „alten“ Bundesrepublik. Motive aus der Bildungsarbeit von Industriegewerkschaften, der Arbeitswelt, von alten Menschen, von Behinderten gehören ebenso dazu wie Szenen aus einem Jugendhaus im nordhessischen Korbach und aus Dörfern der Rhön, wo er zeitweise lebte. Die Fotos weisen immer auch biografische Bezüge auf: Seinen Weg aus kleinbürgerlichen Verhältnissen an die Marburger Universität und direkt hinein in die politische Bewegung der 68er. Politisiert, wach und engagiert musste Eckart seine Motive nicht suchen, musste nicht eintauchen in unbekannte Milieus. Er war selbst Teil des studentischen und politischen Alltags jener Aufbruchszeit der westdeutschen Gesellschaft, in der vieles in Frage und manches auf den Kopf gestellt wurde. Der in Erfurt lebende Dieter Demme (Jg. 1938) beherrscht die Kunst des Hinschauens genauso perfekt wie das Handwerkliche. Neben seiner beruflichen Tätigkeit als Bildreporter entstand ein privates Archiv zur Alltagskultur. Die Bilder zeigen die Realität hinter den propagandistisch geschönten Kulissen: Porträts, die von hoffnungsvollen Aufbrüchen und gescheiterten Träumen erzählen; Städtebilder, die Provinzialität, Tristesse und zunehmenden Verfall wiedergeben, aber auch die kleinen, unspektakulären Schönheiten und Freuden des Alltags nicht ausblenden. Zahlreiche Aufnahmen belegen den Rückzug vieler Bürger ins Private. Fotos wie diese verkörpern die „andere“ Fotografie in der DDR, die es sich im bewussten Gegensatz zur offiziell geforderten Fotoberichterstattung zur Aufgabe machte, kompromisslos festzuhalten, was um sie herum wirklich geschah und die zumeist im Verborgenen gedieh. Jetzt, wo Deutschland des 20. Jahrestages von Mauerfall und Einheit gedenkt, gerät sie verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Ihre gemeinsame Ausstellung rüttelt an Klischees, mühevoll gezimmerten noch dazu, mit denen wir uns auch heute noch, zwei Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung, für den Alltag wappnen. Klischees, die wir irgendwie als Ballast erleben und trotzdem als Harnisch für unser Selbstwertgefühl mit uns herumschleppen – in West wie Ost! Zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit wird die Ausstellungsreihe 2010/ 2011 in vier Orten in Thüringen und Hessen präsentiert: Bad Arolsen, Gera, Groß-Gerau und Erfurt. Konzeption und Realisierung der Ausstellungsreihe: Museum Bad Arolsen und Museum für Thüringer Volkskunde Erfurt. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit 160 Seiten und 120 Abbildungen, der als „Wendebuch“ gestaltet ist.