Verkehrswege in Kaukasien
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Seit Russlands Ausgreifen über den Großen Kaukasus dauerte es ein Jahrhundert, bis das Zarenreich ganz Kaukasien unterworfen und integriert hatte. Anlass für dieses Ausgreifen waren Hilferufe der christlichen Völker der Georgier und Armenier, die von ihren muslimischen Nachbarn im Süden, dem Osmanischen Reich und Persien bedrängt waren. 1801 verleibte sich Russland das ostgeorgische Königreich ein, das nur durch eine Gebirgsstraße mit der nördlichen Schutzmacht verbunden war. Für lange Zeit, während Russland weitere Teile Kaukasiens eroberte, blieb diese „Georgische Heerstraße“ die einzige Verbindung, die durch Natureinflüsse und zunächst auch durch nicht unterworfene Bergbewohner ständig gefährdet war. Russische Verkehrsingenieure, darunter sehr viele Westeuropäer, kämpften hier gleichzeitig mit der Natur und mit Raubüberfällen. Zunächst vermochte Russland aus der Expansion keinen Nutzen zu ziehen. Wirtschaftliche und politische Experimente misslangen, aber auch kolonialistische Versuche, die südliche Zone zu einem Rohstofflieferanten und Güterimporteur herabzudrücken. Erst als in der Jahrhundertmitte unter dem weitsichtigen Statthalter und geschickten Organisator Fürst Voroncov die Entwicklungsmöglichkeiten erkannt wurden, traten die vormodernen Gesellschaften in die Neuzeit ein. Für Russland bedeutete das vor allem einen weiteren Ausbau der Infrastruktur in die Fläche: für die Anbindung des Postverkehrs, zur Erschließung der Rohstoffe und nicht zuletzt in Hinsicht auf neue Waffengänge mit dem Osmanischen Reich. War noch zu Beginn des 19. Jh. s Kaukasien durch Gebirge kleinflächig strukturiert und von Mensch und Natur gefährdet, so entwickelte es sich mit dem Ausbau des Verkehrsnetzes zu einem modernen Wirtschaftsraum, in dem die indigenen Völker ihr nationales Selbstbewußtsein entdeckten. Als um 1860 der letzte Widerstand unbotmäßiger Bergvölker gebrochen war, begann mit der Industrialisierung und dem Bahnbau ein neues Zeitalter. Trotzdem kam es aber auch jetzt nicht zu einer weiteren Verbindung über den Großen Kaukasus, obwohl vor dem Ersten Weltkrieg die Planungen für eine Eisenbahn im Gebirge reiften. Im Gegenteil, die Befriedung des Raumes, der Bahnbau und die Entwicklung der Seewege schränkten im späten Zarenreich den weiteren Straßenbau über das Gebirge ein. Nur in Notlagen hatte Russland in der kriegerischen ersten Hälfte des Jahrhunderts Alternativtrassen gesucht und genutzt, deren Anlage teuer und schwierig war, weil der Große Kaukasus anders als die Alpen nur wenige passfähige Einschnitte im Hochgebirge bietet. Das hat bis heute für eine teilweise Isolation und Abgeschiedenheit der transkaukasischen Länder gesorgt, seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion dann auch für eine neue staatliche und wirtschaftliche Fragmentierung. Die russische Expansion durch Verkehrswege in einem schwierigen Gebirgsraum über einen langen Zeitraum, mit alten christlichen Völkern und gänzlich verschiedenen Gesellschaftsordnungen, steht für eine weitgehend gelungene zivilisatorische Mission des Zarenreichs, die zugleich Anspruch und Ursache dieser Expansion war. Der russische Kolonialismus blieb hier unvollendet, eine durchgehende Russifizierung blieb aus, trotz des wirtschaftlichen und kulturellen Übergewichts der Großmacht.