Liturgie oder Literatur?
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Unter den in der Hethiterhauptstadt Hattuša gefundenen Schriftzeugnissen stellen die Festrituale und Kulte mit etwa 6500 als zugehörig identifizierten und wahrscheinlich über 3000 noch unidentifizierten Texten und Fragmenten über 40% des Textmaterials. Diese in der antiken Welt beispiellos reiche Überlieferung gewährt einen tiefen Einblick in die Kulte Altanatoliens und ihre Durchführung. Abgesehen von der zahlenmäßigen Bedeutung stellt sich die Frage nach dem ‚Sitz im Leben‘ der Textgattung der Kult- oder Festrituale. Tontafelkataloge und Tonetiketten nennen bekannte Kultrituale. Handelt es sich bei diesen Katalogen nur um Bestandsverzeichnisse oder nennen sie Texte, denen eine besondere Wertschätzung und Bedeutung zukam? Festrituale gehören jedenfalls zu denjenigen Textgruppen, die häufig abgeschrieben wurden und daher in zahlreichen Duplikaten vorliegen. Das haben sie unter anderem mit historischen Texten, Mythen und Gesetzen sowie Hymnen und Gebeten gemein. Können Festrituale trotz Duplikaten und langer Traditionsgeschichte mit ihren „langatmigen und stereotypen Ritualanweisungen keinen Anspruch darauf erheben“, Literatur zu sein (Hans Gustav Güterbock)? Ist daher das Ritual als Liturgie, als öffentlicher, gemeinschaftlicher Gottesdienst zu verstehen, der gleichermaßen Ablaufanweisung (Festritualtext) wie Gebet, Mythos (vgl. die Lesung), Gesang und Musik umfasst? Dienten die Festritualtexte der Sicherstellung des ordnungsgemäßen Ablaufs im Sinne einer Qualitätskontrolle? Die Beiträge behandeln Festrituale unter verschiedenen Aspekten von der Funktion und dem interkulturellen Vergleich über die archäologische Evidenz bis hin zu Techniken zur Rekonstruktion der Texte.