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Casa Verdi

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Wenn die Uhrzeiger langsam auf die Essensstunde hin vorrücken, dann sieht man über Mailands Piazza Buonarotti plötzlich einzelne sehr wunderliche Greise schleichen. Einer von ihnen hat einen auffallend breitkrempigen Hut auf, den er, sich huldvoll verneigend, in einer noblen Geste grüssend schwenkt, sobald ein Bekannter (und sei's auch nur ein vermeintlicher Bekannter) seinen Weg kreuzt. Ein anderer trägt am helllichten Tag einen dunklen, frackähnlichen Anzug und setzt dabei eine Miene auf, als habe er es endgültig satt, fortwährend um Autogramme gebeten zu werden. Die seltsamen Gestalten steuern auf ein nobel wirkendes Haus zu, einen kleinen Palast mit neugotisch inspirierter Fassade. Sie sind Bewohner der Casa di Riposo, des von Giuseppe Verdi 1896 gegründeten Altersheims für Musiker, die nach einem langen Leben mit leeren Taschen dastehen – sei es, weil sie mit ihrer Passion für eine brotlose Kunst zeitlebens Habenichtse waren oder weil sie, wie Verdi in seiner bescheidenen Art sagte, einfach «weniger Glück hatten als ich». Schon vor Daniel Schmids von inniger Anteilnahme zeugendem Film Il Bacio di Tosca (1984), der die Sängerinnen und Sänger der Casa Verdi porträtierte, berichteten 1981 der Schweizer Fotograf Eric Bachmann (Leutschenbach Karambuli, 2001; Muhammad Ali, Zürich, 26.12.1971, 2014, beide Titel erschienen bei der Edition Patrick Frey) und der deutsche Journalist Christian Kämmerling für ein Schweizer Magazin über die elegische Welt der Casa Verdi. Der vorliegende Bildband Casa Verdi versammelt nun erstmals einen Grossteil der Bilder aus Bachmanns Archiv, Kämmerlings feinfühligen Essay und einen Biografieteil, der die Geschichten der abgebildeten Musiker versammelt. Kriegsbedingt blieben ohnehin nur wenige biografische Fakten als Pfeiler, zwischen denen sich nun vor allem Imaginationen aufspannen. Ähnlich dem kleinen Tableau in der düsteren Portiersloge der Casa Verdi, auf dem um die sechzig Nachnamen angebracht sind: Druckbuchstaben aus gelblichem Plastik, einige haften nicht mehr so recht und hängen schief. Dahinter verbergen sich Schicksale, jedes auf seine Weise anders verlaufen als ursprünglich erhofft. Warum hat die grosse Karriere nicht stattgefunden? Wieso der und nicht ich? – Andere, Erfolgreichere: Wo um Himmels willen sind die Traumgagen geblieben? Verpulvert. Wofür? Und trotz aller Fragen nach dem Grund fürs eigene Pech: Glück im Unglück. Wer in die Casa di Riposo aufgenommen wird, braucht sich um seinen Lebensabend keine Sorgen mehr zu machen: Verdi hat dem Haus – seinem, wie er sagte, «schönsten Werk» – das Herzstück seines riesigen Vermögens vererbt, die Urheberrechte an allen seinen Opern.

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2016, pevná

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