Kafkas ungeschriebene Ästhetik
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Während der künstlerische Ort der Moderne für Kafka nicht sicher bestimmbar ist, deutet sich die Revision einer Ästhetik an, die von einem metaphysischen Apriori lebte und für welche die glorifizierte Idee zum (diesseitigen) Bedeutungsraum zählte. Wie das Mythische an Terrain zurückgewinnt, polarisiert sich der Urkampf zwischen Orpheus und Dionysos, Apollon und Marsyas zugunsten der Naturgötter. Das letzte Wort haben die Laute, das Geschrei der Nymphen und Dämonen, das Heulen der Wölfe, Josefines Pfeifen… Franz Kafka (wie übrigens sein „Blutsverwandter„ Kleist) hat Grund, die traditionelle Ästhetik ihres ideellen Glanzes und Wohlklangs wegen mehr zu fürchten als zu lieben. Der daraus folgende Kampf wird um der Wahrhaftigkeit willen geführt, und zwar mit Mitteln, die den Platonismus in der Kunst, die Erwartung einer symbolischen Heils- und Heimatstiftung ironisch repräsentieren. Wir haben es in Kafkas Geschichten mit Kontrafakturen zu tun, die an Travestien grenzen, oder mit Travestien, die an Kontrafakturen anliegen. Dass in seiner letzten Erzählung „Josefine“ noch einmal der Orpheusmythos Pate stand, erhellt aus der Tatsache, dass hier die wundersame Wirksamkeit des „Schönen„ ebenso illustriert wie negiert wird. Sie verweist auf eine elementare, gleichsam vor-ästhetische Schicht des Sagens, die an die „Sage“ erinnert. Kafkas Ästhetik ist eine Antiästhetik.