Die Lokhalle und ihre Eisenbahner
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Die Geschichte des Eisenbahnausbesserungswerks Göttingen ist so alt wie die Geschichte der Eisenbahnen selbst. Dieser wichtige Beitrag zur Arbeiterkultur beschäftigt sich jedoch weniger mit dem jahrelang nicht aus den Schlagzeilen gekommenen Kulturdenkmal selbst, als mit den dort Beschäftigten des einst bedeutendsten Arbeitgebers der Stadt. Untersucht wird das Handeln der Eisenbahner im Spannungsfeld von staatlichen Repressionen und arbeitstechnischen Hemmnissen einerseits und den eigenen Werten und politischen Forderungen andererseits. Das Göttinger Werk war nicht nur der größte, sondern in den Jahren der Weimarer Republik auch einer der gewerkschaftlich bestorganisierten Betriebe in Göttingen; einzelne Arbeiter spielten darüber hinaus in der Widerstandstätigkeit während des Faschismus eine herausragende Rolle. Ergänzt wird diese Studie durch fünf Interviews mit ehemaligen Beschäftigten - sowohl Arbeiter als auch Beamte, davon einige in seinerzeit wichtigen Funktionen - die neben Einblicken in die subjektive Seite des Arbeitsprozesses detaillierte Aspekte zur Göttinger Arbeiterkultur vermitteln. Der Beitrag der Arbeiter des Ausbesserungswerks Göttingen zur lokalen Arbeiterkultur sowie die Breite und Vielfalt dieser Kultur sind in Darstellungen zur Göttinger Geschichte und Kultur noch kaum jemals gewürdigt worden. Noch immer scheint die Ansicht vorzuherrschen, daß in Städten von der Größe und Struktur Göttingens Arbeiterinnen und Arbeiter keine relevante Rolle spielten. Die Berücksichtigung von Arbeiterkultur ist aber unabdingbar, soll nicht in lokalen Studien weiterhin ein antiquiertes und ideologisiertes Geschichtsbild transportiert werden, das die Industriearbeiter von der Teilnahme an Kultur und Politik ausschließt und die Bürger zum alleinigen Mittelpunkt und Akteur von Geschichte macht. Gerade in einer Zeit, in der die sogenannte „Zweidrittelgesellschaft“ bedrohliche Realität wird, soziale Konflikte und kulturelle Identitätsprobleme sich verschärfen und reaktionäre „Lösungen“ in erschreckendem Maße hoffähig werden, kann ein historischer Rückblick auf die eigene Praxis und deren Bedingungen auch den Arbeiterorganisationen wertvolle Hinweise auf mögliche erfolgversprechende Gegenstrategien geben. Die diesem Buch zugrundeliegende Studie wurde mit dem Förderpreis des „Verkehrsforum Bahn e. V.“ ausgezeichnet.