Der Sachverhalt bei John Locke
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Das Werk John Lockes ist in Deutschland in den letzten Jahren und Jahrzehnten durch eine Reihe von Veröffentlichungen gewürdigt worden. Ins breite Licht der philosophischen Diskussion ist er hierdurch dennoch nicht getreten. Dass dieser Stammvater des Klassischen Empirismus so vernachlässigt wird, hängt u. a. damit zusammen, dass die Relevanz eines auf Wahrnehmungsgehalten (Locke sagt „Ideen“) basierenden Empirismus heute umstritten ist. In meiner Dissertation möchte ich nicht die Aufgabe übernehmen, Lockes Erkenntnistheorie zu rehabilitieren. Es soll aber versucht werden zu zeigen, dass der Essay Concerning Human Understanding zwei Lehrstücke enthält, die gängigerweise erst historisch sehr viel späteren Autoren zugeschrieben werden. Locke würde sich somit als erstaunlich moderner Autor erweisen. Das erste Lehrstück ist Lockes Theorie der Begriffsbildung. Traditionellerweise wird Locke unterstellt, dass aus einfachen Ideen komplexe Ideen zusammengesetzt werden, wobei letztlich alle Ideen auf Erfahrung zurückgeführt werden können. Dagegen versuche ich zu zeigen, dass es für Locke Ideen gibt, die notwendigerweise bei der Begriffsbildung verwendet werden müssen, wobei sie aber in dieser Funktion nicht in der Erfahrung aufgewiesen werden können. Diese Konstruktion der Begriffsbildung weist große Ähnlichkeit zu Kants Lehre von den Kategorien auf. Im Gegensatz zu Kant geht Locke aber nicht davon aus, dass dem Subjekt ein ungeordnetes Chaos des Mannigfaltigen gegeben ist, welches durch das Subjekt erst strukturiert wird. Stattdessen weisen die Wahrnehmungsgehalte, die ein Subjekt hat, schon eine gewisse Ordnung auf, die das erkennende Subjekt veranlassen, Begriffe zu bilden. Diese, dem Subjekt gegebene Ordnung der Wahrnehmungsgehalte, kann als sachverhaltsartige Struktur begriffen werden, die grundlegend dafür ist, dass der Mensch überhaupt erkennen kann. Damit zeigt sich, dass der Begriff des Sachverhalts dem Inhalt nach, wenn auch nicht dem Namen nach, schon bei einem Autor wie Locke und nicht, wie weithin angenommen, erst im 19. Jahrhundert auftaucht.