Antisemitismus in der Schweiz 1848 - 1960
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In der Geschichte des schweizerischen Bundesstaates hat der Antisemitismus eine weit grössere Rolle gespielt, als in der Forschung und der breiten Öffentlichkeit lange Zeit angenommen worden ist. Obwohl die Schweiz zu den demokratischen Pionierstaaten Europas gehörte, legte sie gegenüber den Angehörigen der jüdischen Minderheit im Jahrhundert zwischen 1848 und 1960 keine besonders aufgeschlossene Haltung an den Tag. Im Gegenteil. Die späte Durchsetzung der jüdischen Emanizpation, das Schächtverbot in der Bundesverfassung (1893), die betont restriktive Einbürgerungspraxis gegenüber Ostjuden und die Transitland-Doktrin in der eidgenössischen Migrationspolitik nach dem Ersten Weltkrieg belegen, dass auch die Schweiz eine Tradition der antijüdisch motivierten Fremdenabwehr und des gelebten Antisemitismus besitzt. In diesem Licht betrachtet, erscheint die judenfeindliche Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg nicht mehr länger als Betriebsunfall der Schweizer Geschichte, sondern als modernisierte Spielart eines „prophylaktischen Antisemitismus“ (Gerhard M. Riegner), dessen Ursprünge weit ins 19. Jh. zurückreichen.