Weltenfülle und Verstrickung im Werk Max Schelers
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„Ich leb, ich weiß nicht wie lang, Ich sterb, ich weiß nicht wann, Ich fahr, ich weiß nicht wohin: Mich wundert, dass ich so fröhlich bin.“ Dieses Lieblingszitat des proteushaften Philosophen MAX SCHELER (1874-1928) steht für eine Anthropologie der Fülle und des Reichtums, die in der Nachfolge FRIEDRICH NIETZSCHES dem Begriff des Lebens einen Goldenen Glanz verleiht. Diese Philosophie des Leicht-Sinns (der Spontanität und Genialität, der Intuition und der Weltoffenheit) verfängt sich in der Enge der Wirklichkeit, in der die angestrengte Arbeit, das Gesetz und die berechnende Attitüde des Philisters maßgebend sind. Auf den Gebieten der Politik (Europa und der Begriff des Föderalen), der Soziologie (der Charismatiker und der Kleinbürger), der Kulturwissenschaft (die Neuzeit und das Misstrauen), der Theologie (das Reden von Gott im Abendland und im Morgenland) und der Anthropologie (der Mensch als weltoffenenes, in die Welt aufbrechendes und der Mensch als exzentrisches, im Nichts stehendes Wesen) zeigt sich die Spannung der SCHELERschen Philosophie zwischen einer pneumatisch inspirierten Lust auf die Weltenfülle einerseits und der zunehmend wahrgenommenen Knappheit der Wirklichkeit andererseits, in der das Hohe und Edle, also die Qualität, von der Masse, also der Quantität, besiegt werden. Der Konflikt zwischen theomorpher Freude und menschlich-allzumenschlicher Blindheit des Willens treibt SCHELER in die Emigration aus dem Abendland und lässt ihn nach (er-) lösenden Kompensationen suchen, die er in seiner Spätphase im Osten (u. a. in der Gnosis MARCIONS, im Russland F. M. DOSTOJEWSKIJS und im Indien M. GANDHIS) ausfindig macht. Der Gott des (westlichen) Theismus bietet SCHELER dann keinen Trost mehr, der nur von quasi-mythischen Denkformen der Geschichtsüberwindung (z. B. Palingenesie) erwartet wird. In ihnen kann der Mensch der Gefahr des bornierenden Stumpfsinns entkommen, ohne seine Suche nach Sinn preisgeben zu müssen. Auf SCHELERS ruinenähnlichem Gesicht soll ein Jahr vor seinem Tod der Satz J. BURCKHARDTS „Der Geist ein Wühler“ gestanden, aber zugleich eine unbesiegbare Heiterkeit des Geistes geleuchtet haben (LUDWIG CURTIUS).