Archäologie der Meinungsforschung
Autoři
Více o knize
Die Meinungsforschung läßt sich aus dem politischen Leben nicht mehr wegdenken. Mit wachsendem Aufwand erfassen die meinungsforschenden Institute immer mehr Bereiche. Die Begründung einer Mathematik der öffentlichen Meinung vor sechzig Jahren war getragen von der verheißungsvollen Idee einer sich selbst transparenten, politischen Gesellschaft. Doch inzwischen ist eine politische Technologie voller Paradoxien entstanden. Sobald die Zahlen und Tabellen politisch Brisantes erfassen, äußert sich auch Kritik. Der offenbare Hunger nach den Ergebnissen der Meinungsforschungsindustrie wird von dem fortdauernden Misstrauen gegenüber den Zahlenreihen eigentümlich kontrastiert. Das Aufzeigen dieser anscheinend widersinnigen Verkettung von Meinungsforschung und Kritik bildet allerdings erst die Möglichkeit, die entscheidenden Fragen zur Untersuchung dieser Institution zu formulieren. Weshalb verschwindet die Meinungsforschung ob der harschen Kritik nicht? Weshalb resigniert die Kritik keineswegs ob der faktischen Macht der alltäglichen Präsenz der Zahlen und Grafiken? Bemerkenswerterweise offenbart das Spiel von Kritisieren und Zitieren der demoskopisch erhobenen Tabellen und Zahlen die unterschiedlichsten und widersprüchlichsten Vorstellungen dessen, was Gesellschaft ist. Dies zeigt bereits die historische Genese dieser Wissenstechnologie, und dies gilt auch für die laufenden Debatten. In dieser Konfusion kommt den Ergebnissen der Meinungsforschung eine spezifische Bedeutung zu, die sich nicht in der Qualität ihrer Messung erschöpft, so die These dieser Arbeit. Denn so lapidar und bedeutungsarm die Ergebnisse der Meinungsforschungsindustrie oft auch sind: unabhängig davon, was sie wirklich erfassen, vermögen sie als Kristallisationspunkte von Erzählungen über Politik und Gesellschaft zu fungieren. Auf diese Weise beliefert die politische Technologie systematisch einen leeren Ort gesellschaftlicher Imagination. Die Entzifferung der damit entstehenden Geschichten und Vorstellungen beschäftigt die vorliegende Untersuchung.