No
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No wächst in einem Landstrich auf, der seit der Walpurgisnacht in Goethes ›Faust‹ nicht mehr ganz geheuer ist: Auf dem Brocken zwischen Elend und Schierke tanzten einst die Hexen. Tiefstes Deutschland: Vor nicht allzu langer Zeit verlief hier im Harz die empfindliche Grenze der beiden deutschen Staaten – in Brummes Roman rückt diese Zeit in eine gläserne Ferne. No lebt tatsächlich in jenem Dorf namens Elend, zusammen mit seiner Familie, die noch namenloser ist als er selbst: Vater, Mutter, der älteste Bruder, der ältere Bruder, die Schwester, der jüngere Bruder. No bewegt sich, wie alle Kinder, als Fremdling in einer Welt, die er erst entdecken wird. No ist ein Nobody, ein Kind ohne Eigenschaften, noch jenseits von Gut und Böse. ›No war eine Schachfigur, ein Springer nämlich. Er hatte ein Pferdegesicht und ein aus Holz geschnitztes Maul.‹ Der hakenschlagende Springer allerdings ist die unberechenbarste aller Schachfiguren: eins grad, eins schräg. ›No war ein falscher Hund, ein falscher Fuffziger: mal so und mal so. Er konnte jederzeit das Gegenteil von dem sagen, was er gerade gesagt hatte.‹ Nos Vater ist ein professioneller Erzieher: Als Lehrer hat er Psychologie studiert (›Das war eine Wissenschaft, mit der man lernte, wie es in Kindern innen aussah.‹) und lehrt seine Kinder mit kalter Konsequenz das Prinzip Unterwerfung. Wutausbrüche oder Jähzorn gibt es bei ihm nicht: Im Gegensatz zur ständig heulenden Mutter ist ihm der Ärger nie anzumerken. Seine Erziehungsmethoden – protestantisch deutsch – folgen kühler Berechnung. Wie das Schachspiel, das er der ganzen Familie beigebracht hat. Bei Christoph D. Brumme erscheint die DDR – im nüchternen Blick eines Kindes – als vieldeutige Metapher. Das Kind mit Namen No versteht nicht, erklärt nicht - es nimmt nur wahr, ganz ungestört, denn No ist allein. Nicht einmal der Erzähler ist auf seiner Seite.' Sieglinde Geisel Freitag