"... ob diese ihrer gnädigen Frau die Fackel vorträgt oder die Schleppe nachträgt ..."
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Seit dem Beginn der Reflexion von Glaubensinhalten durch das frühe Christentum kann von einem wechselseitigen Verhältnis von Philosophie und Theologie gesprochen werden. Christliche Glaubenslehre, die ihren Ausgang in der gläubigen Annahme geoffenbarter Sätze nimmt, und Metaphysik, die als prima philosophia die Universalität der Vernunft vertritt, haben in Gott den gleichen Gegenstand ihres Fragens, treten dadurch in Konkurrenz zueinander und prägen zugleich einander bei ihrer Selbstkonstitution. Dabei hat sich die Theologie stets an jeweils gültigen philosophischen Rationalitätsstandards orientiert, um ihren Anspruch auf Rationalität zu begründen und ihr Profil als Wissenschaft zu gewinnen, zu verteidigen und zu modifizieren. Andererseits übt die kontinuierliche Rezeption und Tradierung philosophischer Inhalte durch die Theologie maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Philosophie und deren grundlegende Bedeutung für die europäische Wissenskultur aus. Die vorliegende wissenschaftstheoretische Untersuchung weist dies an prägenden philosophischen und theologischen Positionen von der Spätantike bis in die Gegenwart nach und leistet damit einen Beitrag zu einem Thema, dessen Bedeutung für die Geistes- und Kulturgeschichte nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Die gemeinsame Geschichte von Philosophie und Theologie nimmt ihren Anfang im Übertritt des frühen Christentums in den Raum der hellenistisch geprägten Kultur des Mittelmeerraums und - aus theologischer Sicht - der damit verbundenen Übernahme philosophischer Elemente durch einen christlichen Glauben, der so allererst eine christliche Glaubenslehre ausbildet, wie dies etwa bei Augustinus mit neuplatonischen Aussagen praktiziert wird. Im Mittelalter erreicht die Rezeption philosophischer Rationalitätsstandards in der Theologie, die sich erstmals als Wissenschaft begreift, ihren ersten Höhepunkt in der theologischen Auseinandersetzung mit den artes liberales und im 13. Jahrhundert mit der Apodeiktik, der aristotelischen Wissenschaftslehre, insbesondere durch Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus. Die Transzendentalphilosophie Kants beschleunigt und verschärft, indem sie metaphysikkritische Elemente der philosophischen Tradition zuspitzt und auf eine neue Basis stellt, den Prozess der Ablösung der Philosophie von der Theologie sowie - umgekehrt - der programmatischen „Entwissenschaftlichung“ der Theologie, die unter dem Einfluss wissenschaftstheoretischer Ansätze des 20. Jahrhundert weiter voranschreitet. Es bleibt der Auftrag an die Philosophie, Rationalitäts- und Wissenschaftsstandards zu reflektieren und gegebenenfalls zu re-formulieren. Und es bleibt die Aufgabe der Theologie, angemessene Antworten auf diese Vorgaben zu finden, will sie ihren Anspruch, Wissenschaft zu sein, aufrecht erhalten. Mögliche Referenzen seitens der Philosophie bei diesem Unterfangen können in der Hermeneutik, der Sprachanalyse und Sprachphilosophie gesehen werden.