Trotz des gestiegenen Interesses an Werk und Person Ernst Cassirers wurde von seiner Wissenschaftsphilosophie bis heute wenig Notiz genommen. Das ist erstaunlich, weil in der Auseinandersetzung mit Problemen der neuzeitlichen und modernen Naturwissenschaften eine der wichtigsten Quellen für die gesamte spätere Philosophie Cassirers zu suchen ist. Die vorliegende Studie schließt diese Lücke und analysiert Cassirers Auseinandersetzung sowohl mit der modernen Physik – insbesondere der Relativitätstheorie – als auch der zeitgenössischen Wissenschaftsphilosophie. Hauptziel der Untersuchung ist die Ermittlung der Bedeutung und Reichweite des Cassirer’schen Grundsatzes vom Vorrang des Gesetzes- oder ›Funktionsbegriffs‹ vor dem Gegenstands- oder ›Substanzbegriff‹ für die Entwicklung der modernen Physik. Der Autor befasst sich mit Cassirers Auffassung vom wissenschaftlichen Experiment, von der Wissenschaftsentwicklung und von der Anwendung mathematischer Begriffe auf die Natur.
Karl Norbert Ihmig Knihy



Cassirer hätte den Satz, dass Wissenschaftsgeschichte ohne Wissenschaftstheorie blind und Wissenschaftstheorie ohne Wissenschaftsgeschichte leer sei, ohne Einschränkung unterschrieben. Eine so enge Verknüpfung von Wissenschaftsphilosophie und Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte findet man bei keinem anderen Philosophen des 20. Jahrhunderts. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf Cassirers frühe Arbeiten und geht der Frage nach, wie er den Gedanken seines Systems der Erfahrung in der Auseinandersetzung mit der philosophischen Tradition entwickelt. Die Rezeption des ›Erlanger Programms‹ war für die Entwicklung seines Systembegriffs offenbar von paradigmatischer Bedeutung.