Die Erhaltung des Gleichgewichts zwischen den europäischen Mächten war über Jahrhunderte das Ziel der britischen Außenpolitik. Solange die Rivalität der kontinentaleuropäischen Mächte eine Bedrohung Englands verhinderte, konnte London weltpolitischen Ambitionen nachgehen. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg folgte England der Gleichgewichtsmaxime, doch Christel Gade zeigt, dass dies nicht der Realität entsprach. Sie untersucht die britische Außenpolitik von 1909 bis 1914 und stellt fest, dass die traditionelle Gleichgewichtspolitik nicht mehr ausreichte, um die Sicherheitsbedürfnisse Englands zu befriedigen. Langfristige Bündnisse wurden notwendig, da schnelle Bündniswechsel politisch schädlich waren. England fürchtete Isolation und die Bildung eines gegen es gerichteten Kontinentalblocks. Vor dem Ersten Weltkrieg war England nicht mehr der unabhängige Wahrer der europäischen Balance, sondern Teil der Mächtekonstellation. Die Autorin wertet zahlreiche private Quellen aus, darunter die Nachlässe wichtiger Politiker, und zeigt, dass offizielle Verlautbarungen oft nicht den Überzeugungen der Akteure entsprachen. Obwohl das Gleichgewichtskonzept weiterhin als Legitimation diente, verdeutlicht die Untersuchung, dass die englische Gleichgewichtspolitik in dieser Zeit mehr eine historiographische als eine historische Realität war.
Christel Gade Knihy
