Ortolf von Baierland und seine lateinischen Quellen
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Ortolf von Baierland hat für sein deutschsprachiges Arzneibuch nach eigener Aussage eine Vielzahl hochrangiger lateinischer Vorlagen verwendet. Diese Behauptung wurde in weiten Teilen schon vor längerer Zeit grundsätzlich verifiziert, wobei jetzt die Zahl der tatsächlich verwendeten Werke reduziert werden konnte. Die Grundlagenkapitel des Anfangsteils knüpfen an Rhazes’ „Liber regius ad Almanorem“ an, die Harndiagnostik basiert auf der Monographie des Isaac Judaeus und auf dem Lehrgedicht Gilles de Corbeils, der auch die Quelle für die Sphygmologie verfasste, und die Verbindung zwischen den hippokratischen Aphorismen bzw. Prognosen und dem deutschen Text ist so eng, dass man hier sogar von einer Übersetzung sprechen kann. Der internmedizinisch ausgerichtete Hauptteil beruht auf dem verbreiteten „Compendium medicinae“ des Gilbertus Anglicus, aus dem überraschenderweise auch die chirurgischen Nachträge geschöpft sind. Offen ist lediglich die endgültige Klärung der komplizierten Verhältnisse beim offenbar kleinflächig kompilierten und neu strukturierten Aderlass-Kurztraktat. Als Handicap erwies sich immer wieder die bislang fehlende Aufarbeitung des lateinischen mittelalterlichen Schrifttums. Dennoch wurde ein Detailvergleich zwischen Quellenvorgabe und deutschem Text gewagt, der gleichzeitig eine möglichst exakte Analyse von Ortolfs Werk insgesamt sein will. Dieses erweist sich in seiner überwiegend äußerst lockeren Verbindung zur jeweiligen Vorlage und in der extremen Verkürzung komplexer Zusammenhänge nicht nur als eigenständig formuliert: Über die radikale Reduktion hinaus zeichnet sich sogar eine von Ortolf selbst entwickelte, ebenso einfache wie leistungsstarke zugrundeliegende Moralvorstellung ab, die als roter Faden vereinheitlichend das gesamte Lehrbuch durchzieht und zu deren Gunsten bedenkenlos sogar die Aussagen der Autoritäten umgebogen werden.