Anschauliche Tragwerklehre
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Die Weiterentwicklung und ständige Verfeinerung der baustatischen Verfahren ist leider mit zunehmenden Anschaulichkeitsverlusten verbunden. Diesen bereits in die Anfänge der wissenschaftlichen Baustatik (18. Jahrhundert) zurückreichenden Prozess hat Hans Straub in seinem umfassenden Werk „Die Geschichte der Bauingenieurkunst“ ausführlich und eindrucksvoll beschrieben. Aufgabe der Tragwerklehre ist es, grundlegende Zusammenhänge des Tragverhaltens zu vermitteln. Sie muss daher einen gewissen Ausgleich zu den in der Ingenieurpraxis üblichen Berechnungsverfahren schaffen, deren mathematisch-abstrakter Charakter Zusammenhänge nicht mehr ohne weiteres erkennen lässt. Hierbei muss der Anspruch der Hochschulen auf eine wissenschaftlich fundierte Darstellung der Lehrinhalte dem Wunsch nach einer anschaulich und einprägsam gestalteten Tragwerklehre durchaus nicht entgegenstehen. Dies belegen in hervorragender Weise die Verfahren der graphischen Statik, die - anders als in der Ingenieurpraxis - für die Tragwerklehre aufgrund ihrer Anschaulichkeit auch im Zeitalter der EDV noch immer aktuell sind. Auch der Einsatz von Modellen als didaktische Hilfsmittel sowie der Einbezug von Experimenten in die Lehrveranstaltungen sind bestens geeignet, theoretische Sachverhalte zu veranschaulichen. Experimente an Modellen prägen sich in ihrer Bildhaftigkeit leicht und nachhaltig ein und beeinflussen somit positiv die Behaltensleistung der Studierenden, wie auch eine Untersuchung von Kurt Faisst aus dem Jahr 1975 belegt. Mit dem im Folgenden beschriebenen Verfahren lassen sich für biegebeanspruchte Tragsysteme die unter Belastung auftretenden Biegemomente anschaulich und zwar in Form experimentell ermittelter Momentenlinien darstellen. Die Abbildung der Momentenverläufe erfolgt hierbei durch analog verlaufende Seillinien, d. h. das Verfahren basiert auf dem natürlichen Formbildungsprinzip freihängender und belasteter Seile bzw. Ketten, die als Ersatzsysteme dienen. Es werden also die für das Formänderungsverhalten belasteter Seile geltenden Gesetzmässigkeiten genutzt, wie sie bereits Simon Stevin (1548 - 1620) mit seinen Versuchen zum Gleichgewicht der Kräfte anhand von Schnüren, die mit Gewichten beschwert waren, darstellte.