Der Gelehrte in der Literatur
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Künstler und Wissenschaftler haben sich schon immer gegenseitig befruchtet. Noch stärker aber haben sie einander widersprochen. „Wissenschaft ist Spektralanalyse. Kunst ist Lichtsynthese“, heißt es bei Karl Kraus – und vor allem die Literatur hat es der Wissenschaft nie verziehen, daß sie die Suche nach Wahrheit analytisch, deduktiv und sezierend betreibt. Zur Zielscheibe aller Kritik hat sie den Gelehrten erkoren, an dem ein Panorama sozialer Defizienz entfaltet: von anmaßender Kopflastigkeit und rücksichtsloser Neugier über emotionale Kälte und Misogynie bis hin zur monomanen, lebensuntüchtig und weltfremd machenden Spezialisierung. Am Werdegang des Gelehrten läßt sich die von der Literatur kritisch kommentierte Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems nachvollziehen. Vorformen eines Leerlaufs der Methode sind schon bei Aristophanes auszumachen, der sich dann bei der bramarbasierenden Pedantenfigur der Commedia dell’arte verselbständigt. Vollends spürbar wird die funktionale Differenzierung der Gesellschaft bei den Jungen Gelehrten der Aufklärungskomödien (Holberg, Lessing) und den ersten Darstellungen der Naturwissenschaftler (Jean Paul, Balzac). Und abgesehen von einem idealisierenden Intermezzo (Tieck, France, Freytag) setzt sich die über zweitausend Jahre alte Form der Gelehrtendarstellung als Gelehrtenkritik und -satire bis zu Canetti fort, ehe sie dann in die moderne Variante übergeht: den Universitätsroman.