Erstsprache, Zweitsprache, spezifische Sprachentwicklungsstörung ?
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Immer mehr Kindern, die eine andere Erstsprache als Deutsch haben, wird bescheinigt, dass sie einer Unterstützung in ihrem Erwerb des Deutschen als Zweitsprache bedürfen. In einer entwicklungsorientierten und spracherwerbstheoretisch fundierten Förder- und Therapiepraxis ist es daher besonders wichtig, Strukturen, die im Erwerb der deutschen Grammatik durch Zweitsprachlerner typisch sind, von den Ausprägungen einer genuinen Spracherwerbsstörung zu unterscheiden. Sprachförderkräfte wie in der therapeutischen Praxis Tätige sehen sich in diesem Zusammenhang mit einer Forschungslücke konfrontiert. Bisherige bezugswissenschaftliche Studien zum Erwerb des Deutschen als Zweitsprache durch Kinder im Vorschul- und Schulalter sind rar gesät und in ihren Ergebnissen zudem widersprüchlich. Welches Erwerbsmodell ist dem sukzessiv- bilingualen Erwerb des Deutschen angemessen? Kann der kindliche Zweitspracherwerb als eine Variante des (bilingualen) Erstspracherwerbs beschrieben werden oder finden sich Gemeinsamkeiten mit dem Zweitspracherwerb Erwachsener? Welchen Einfluss nehmen interne Reifungsprozesse, wie sensible Periode(n), auf den Erwerbsverlauf? Und wie wirkt sich eine genuine Spracherwerbsstörung im Erwerb des Deutschen als früher Zweitsprache aus? Im Zentrum dieser systematischen Longitudinalstudie steht der Grammatikerwerb von sieben sukzessiv- bilingualen türkisch-deutschen Kindern. Die Ergebnisse der detaillierten Analyse des Erwerbs der Subjekt-Verb-Kongruenz, von Haupt- und Fragesätzen, von Strukturen mit Negation und von Sätzen mit topikalisierten Elementen werden im Rahmen der generativen Grammatiktheorie interpretiert. Es wird herausgearbeitet, dass sowohl das Alter zu Beginn des Zweitspracherwerbs als auch die SSES den Erwerb der deutschen Hauptsatzstruktur stark beeinflussen. So ähnelt die Grammatikentwicklung der Kinder, die im Alter von 3-4 Jahren mit dem Deutschen beginnen, in den hier betrachteten syntaktischen und morphosyntaktischen Bereichen dem Erwerbsverlauf, der von monolingual deutschen Kindern bekannt ist. Im Gegensatz dazu ist der Erwerb der Grammatik der Kinder, die mit 6 Jahren mit der Zweitsprache beginnen, eher mit dem erwachsener Zweitsprachlerner vergleichbar. Zudem wird nachgewiesen, dass sich die SSES auch bei sukzessiv-bilingualen Kindern sprachspezifisch ausprägt. Es kann nicht bestätigt werden, dass der sukzessive Erwerb zweier Sprachen zu einer Verstärkung der Spracherwerbsstörung führt. Auf Basis der Ergebnisse der linguistischen Studie werden Konsequenzen für die Sprachförderung, für die Konzeption von Sprachstandserhebungsverfahren und für die sprachtherapeutische Praxis diskutiert.