Leben mit den Mikroben
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Die Lebensbedingungen auf der frühen Erde waren wesentlich härter und kontrastreicher als heute. So war die Erde zeitweilig vereist, zeitweilig trockenheiß, zeitweilig von Stürmen und Fluten betroffen, und wurde gelegentlich auch von Meteoriteneinschlägen verwüstet. Verglichen mit dieser lebhaften Vergangenheit leben wir heute eher in einem klimatischen Nirwana. So muss man sich wundem, wie unter den harschen Bedingungen der Vorzeit das Leben auf der Erde entstehen, sich entwickeln und ausbreiten konnte. Manche Mikrobenstämme existieren hier schon seit Jahrmilliarden und sind heute lebendiger denn je. Sie sind fast überall zu finden, in großen Zahlen, und das auch an Orten ungünstiger Lebensbedingungen. Viele sind extrem wandlungsfähig, extrem vermehrungsfähig, und extrem widerstandsfähig, und manche trotzen den Angriffen unserer modernen Pharmazie mithilfe von Techniken, die sie im Laufe ihrer langen Entwicklung verinnerlicht haben. So erklärt sich, warum wir uns heute mit der Seuchenabwehr so schwer tun. Bakterien gibt es in jedem Menschen mehr als es Menschen auf der Erde gibt, durchschnittlich sind das 1,5 - 2 Kilogramm pro Person, und nur unser Immunsystem schützt uns vor dem Verzehrtwerden. In den letzten Jahrzehnten haben chemoresistente Mikroben weltweit Pandemien verursacht. Doch trifft die verbreitete Meinung nicht zu, dass der Mensch selbst die Resistenz in die Welt gesetzt hat, etwa durch übermäßigen Einsatz von Antibiotika. Zweifellos hat dieser Missbrauch die Probleme verschärft, aber Chemoresistenz kommt auch dort vor, wo es keine Menschen gibt, zum Beispiel bei Mikroben in der Antarktis. Resistente Mikroben hat es auch schon im vorzeitlichen Mammut gegeben, wie die im Eis überlieferten Kadaver gezeigt haben. Trotz aller Medizin wird die Menschheit eher kränker als gesünder. Allein 30 neue Seuchen wie AIDS, Ebola, SARS sind in den letzten Jahrzehnten aufgetaucht, andere wie Malaria, Cholera, Tuberkulose sind mit resistenten Erregerstämmen zurückgekommen. Etwa ein Drittel aller Sterbefälle in der Welt geht auf solche Infektionen zurück, und fast die halbe Menschheit hat keinen Zugang zu Arzneimitteln. HIV dürfte bereits 40 Millionen Menschen hinweggerafft haben und schätzungsweise 1600 Infektionen kommen täglich hinzu. Zurzeit ist mehr als eine Milliarde Menschen von infektiösen Krankheiten betroffen, das ist fast ein Sechstel der Weltbevölkerung. Aber die Bekämpfung ist unzureichend, und ca. ein Drittel der Menschheit hat keinen Zugang zu den nötigen Arzneimitteln. Werden Mikroben also bald zum Killer der Menschheit? Nein, sie werden es nicht. Denn immer noch nimmt die Zahl der Menschen insgesamt zu, und die Zahl der infektiösen Todesfälle ist nur ein Bruchteil der „nichtinfektiösen“ Fälle, wie Herzversagen, Kreislaufdefekte, Diabetes, Krebs, psychotherapeutische Probleme. So leiden allein in der Bundesrepublik ca. 4 Millionen Menschen an behandlungsbedürftigen Depressionskrankheiten. Manche dieser Leiden können über Jahre anhalten: Migräne, Gemütsleiden, Bewusstseinsstörungen, Drogenabhängigkeit, Dementia. Die dafiir aufgewandten Kosten der medizinischen Behandlung belaufen sich allein in Europa zurzeit auf ca. mehrere Milliarden Euro im Jahr. Die Leiden selbst sind aber weniger eine existenzielle Bedrohung als eine soziale Tragödie.