Kritik der Kindheit
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Diese autobiographische Schrift von 1944 – bisher unveröffentlicht – ist ein einzigartiges Zeugnis: Rechtfertigung, Abrechnung und Selbstinszenierung in einem. Ihr Autor Gustav Wyneken war eine der Leitfiguren der Jugendbewegung und der Reformpädagogik – und ein bekennender Pädophiler; 1921 steht er wegen sexuellen Missbrauchs zweier Schüler vor Gericht. Er schreibt seine „Kritik der Kindheit“ mit fast siebzig Jahren, und die Kindheit, um die es ihm geht, ist seine eigene. Gegen die Absicht seines Verfassers zeigt der Text die Innenseite einer selbstsüchtig genutzten pädagogischen Macht, ein abgründiges Begehren, das sich nach der Erfahrung des Scheiterns zu rechtfertigen sucht. – Seit einigen Jahren wissen wir: Wyneken hatte und hat Nachfolger. Deren Selbstbild ist dem seinen nicht unähnlich. Vergleichbar ist auch jener meist unbewusste Impuls, die Verantwortung für pädagogisch camouflierte Untaten in den Nebeln elaborierter Diskurse verschwinden zu lassen, damit die Opfer aus den Augen seien, vielleicht sogar den eigenen. Wenn es gelingt, den Subtext dieser mit sich selbst unzufriedenen Apologie des pädagogischen Eros zu lesen – als eine Lebensbeichte wider Willen – ist einiges gewonnen, vor allem die Distanz zum pädagogischen Fatalismus.