Projekt und Projektion
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Alajos Landau, ein Maler, Zeichenlehrer und Kunsterzieher im Budapest des späten 19. Jahrhunderts, veröffentlichte 1882 ein Lehrbuch der Geometrie und Perspektive mit dem Titel Rajzoló geométria, zu Deutsch: Zeichnerische Geometrie. Eine der darin enthaltenen Illustrationen zeigt einen in Tracht gekleideten csikós, den Pferdehirten der ungarischen Puszta, der einen rätselhaften Punkt am Horizont fixiert, und sein Blick auf diesen Punkt wird von einem langen, geraden Schienenbett gelenkt, an dessen Seiten Stromleitungen entlangführen. Die Gestalt des csikós, die wir aus romantischen Gemälden und Gedichten kennen, wirkt in Landaus Buch wie ein Fremdkörper. In der ungarischen Kultur des 19. Jahrhunderts war der csikós ein wichtiges Symbol für die Nationaltugenden. Seine halbnomadische Lebensweise (die oft mit einer rebellischen Haltung gegenüber der Wiener Zentralregierung in Verbindung gebracht wurde), sein ungehindertes Streifen durch die weglose Steppenlandschaft der Puszta, galt als Ausdruck einer idealisierten Identität, die in deutlichem Kontrast zur Realität der rasant voranschreitenden Modernisierung des Landes stand. Die endlosen Landschaften der Puszta erzeugen die Illusion grenzenloser Freiheit. So schreibt der Dichter Sándor Pet? fi in seinem Gedicht Die Tiefebene: „Meine Seele schnellt aus ihrem Gefängnis hoch, wenn ich den endlosen Horizont der Blachfelder betrachte.“ Landaus Pferdehirt hingegen wirkt eher, als betrachte er die perspektivische Zeichnung, statt selbst Teil davon zu sein; das Pferd steht nicht auf dem Schienenbett, sondern scheint in einem gesonderten Raum zu schweben. Der Fluchtpunkt am Horizont bleibt für uns unsichtbar, weil der Hinterkopf des Hirten ihn verdeckt. Um die neuen Schienen zu bauen, die die vielen denkbaren Pfade der Puszta kreuzen, braucht man eine Landkarte. Sie projiziert ihre eigene Logik auf das Land und bestimmt den Fluchtpunkt am Horizont. Die geraden Linien der Modernisierung erscheinen an diesem mythischen Ort des Widerstands ebenso als Ergebnis wie auch als Zeichen einer brutalen und repressiven Macht. Den Blick auf den Fluchtpunkt gerichtet, wo er kein Gebäude oder Objekt sehen kann, steht unser Pferdehirt vor einer Frage: „Was ist da?“ Im Gegensatz zu allen anderen Punkten am Horizont wirkt dieser Punkt äußerst präsent. Und doch stellte schon Alberti genau die gleiche Frage, als er den Fluchtpunkt als Dreh- und Angelpunkt der neu erfundenen Perspektive begriff: „Was ist da?“ Und nur zögernd antwortete er: „quasi l’infinito.“ ...