Herbstfarben
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Auszug aus dem Vorwort von Susanne Schaup: … Henry David Thoreau war ein Empiriker, der die exakte Naturbeschreibung mit einer inspirierten, poetisch-philosophischen Sichtweise verband. Jedes Ding, jede Pflanze, die Gräser, als einzelne unscheinbar, in der Zusammenschau von eindrucksvoller Wirkung, die Fische unter dem Eis, sogar das Welke und Abgestorbene, der Rauch, der aus einem einsamen Schornstein im Wald aufsteigt, Spuren im Schnee, ein bunt gefärbtes Blatt oder das Spiel des Lichts in den Zweigen – buchstäblich alles, was er mit seinen Sinnen aufnahm und seine geistigen und seelischen Antennen ihm vermittelten, wurde zur Offenbarung der geheimnisvollen Verbundenheit allen Seins. Die beseelte Natur, die Emerson in seinem programmatischen Aufsatz Nature verkündet hatte, wurde für Thoreau lebendige Erfahrung. Ihre Verzauberung war diesem Nachfahren nüchtern-puritanischer Einwanderer, einem Spaziergänger aus Leidenschaft, immer gegenwärtig und auf Schritt und Tritt erlebbar. Wir, die seit mehr als einem halben Jahrhundert einer „entzauberten“ Welt gegenüberstehen, die der Mensch in seinem Fortschrittswahn und seiner Habgier immer weiter zerstört, Zauberlehrlinge, die nicht wissen, wie sie die entfesselten Geister des Unheils zurückrufen sollen, finden bei Thoreau keine wirklichkeitsfremde Verklärung der Natur, sondern eine hellwache, realitätsbewusste Verzauberung. Er nimmt uns auf seinen Wanderungen mit, er redet uns persönlich an und weist uns ein in die Geheimnisse der beseelten Natur. Wir können von ihm lernen, wie man einen Wald betritt, wie man die Sinne schärft und still wird, damit die Natur zu uns sprechen kann. Es bedarf keiner Grandiosität der Erscheinungen, keiner spektakulären Landschaft, um dieses transzendente Schauen zu erleben. Worauf es ankommt, ist die Teilhabe an diesem Leben und Weben, das uns überall umgibt, sobald wir einen natürlichen Raum betreten, und sei es ein frosterstarrter Wald, wenn man nur zu schauen und hinzuhören versteht. Dazu braucht es Sammlung und innere Stille und die Bereitschaft, sich auf ein anderes Sein einzulassen. Dazu braucht es eine Haltung der Demut und der Ehrfurcht vor dem Dasein unserer Mitgeschöpfe, ein empathisches Gewahrsein des Wirklichen, wie es sich in diesem Augenblick offenbart. Es ist eine Haltung, wie sie der Zen-Buddhismus oder auch der indische Yoga lehrt. Wie viele seiner Zeitgenossen hatte Thoreau eine starke Affinität zum Buddhismus und zur Geisteswelt des Ostens. Er studierte die Lehrreden des Buddha und vertiefte sich in die heiligen Schriften der Inder. Diese Ehrfurcht vor der Natur und ihre inspirierte Wahrnehmung meint auch Emerson, wenn er von der Manifestation des Transzendenten in den Erscheinungen spricht. Das Ideale oder Göttliche spiegelt sich im Tatsächlichen, in dem, was ist. Thoreau, Emersons kongenialer Schüler, schließt sich dieser „natürlichen Theologie“ an. Sie ist ihm wesensverwandt.