Die Farbe der Vokale

Matthias Polityckis Aufsätze haben immer provoziert. Er hat sich für das Vergnügen in der Literatur ausgesprochen und empfohlen, die bundesrepublikanische Nachkriegsliteratur in die Mottenkiste zu stopfen. Und als Vertreter der Neuen Deutschen Lesbarkeit möchte er auch noch seiner Generation, den '78ern, zu Selbstbewußtsein verhelfen: Überlegungen, die für neuen Streit sorgen werden. „Literatur muß sein wie Rockmusik“, bodennah und von großer Wucht wie ein Song, wenn er gut ist. Matthias Politycki war einer der ersten, die diesen Anspruch an die Literatur gestellt haben, und er hat in erfrischend deutlichen Worten dabei auch gleich einige heilige Feuilleton- Kühe geschlacht. Dringend empfahl er, sich von den verkopften Nachfolgern der Moderne zu verabschieden. Literatur solle Vergnügen bereiten, doch Achtung! „Form ist Wollust“ wie etwa bei Rimbaud, der jedem Vokal eine eigene Klangfarbe verlieh, oder bei Mörike, dem einige der schönsten Gedichte in deutscher Sprache gelungen sind, oder bei dem Stilisten Nietzsche, von dessen Artistik Politycki nachhaltig geprägt wurde. Bei diesen Autoren hält sich Politycki gerne auf, sie verehrt er, als ob sie schon die Rockmusik in die Literatur hineingetragen hätten, und eines wird deutlich, wenn er die Vorzüge ihrer Werke beschreibt: Er befindet sich auf der Suche nach neuen Traditionen. Aber ihm geht es ja nicht nur um Literatur: Er möchte die Generation, der er selber angehört, die 78er, aus ihren gut gepolsterten Schmollwinkeln herausscheuchen und sie dazu anstacheln, sich endlich gegen die 68er und 89er zu behaupten. Als ihr Vorreiter hat Matthias Politycki diese Aufsätze geschrieben, die wieder für gehörigen Wirbel sorgen werden. Matthias Politycki wurde 1955 in Karlsruhe geboren, er lebt in Hamburg und München. Bei Luchterhand sind erschienen: Hundert notwendige Gedichte und ein überflüssiges (als Hrsg., 1992), Taifun über Ky¯oto (Roman, 1993), Jenseits von Wurst und Käse (Gedichte, 1995) und der viel beachtete Weiberroman (1997).