"Ein einfacher junger Mensch reiste..."
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Liest man Thomas Manns Roman Der Zauberberg als historische Transposition des Candide ou l’optimisme von Voltaire, dann verbinden sich durch eine rückläufige Wiederholung der Reise Candides beide Texte in einer kontrapunktischen Überlagerung zum Palimpsest. In der Palimpsestform können Gegensätze sich an jeder Stelle des Textes „reimen“. Das Fortschrittspathos wird ausbalanciert mit dem Pathos des Wartens und der Melancholie am Fin de siècle, ebenso wie die gegensätzlichen ideologischen Positionen der einseitigen Figuren, die weder zur Entscheidung gebracht, noch in einer Synthese aufgehoben werden. Die Transpositionsthese ermöglicht eine Ergänzung der Entstehungsgeschichte des Zauberberg um die Genese des Transpositionskonzepts und – anhand einer ‚textuellen Analyse‘ nach Gérard Genette – den Nachweis der imitierten oder transformierten Textelemente, die vom „Hypotext“ Candide in den „Hypertext“ Zauberberg transzendiert sind. Hans Castorp nimmt Candides Suche nach der ‚besten Welt‘ wieder auf, weil ihn das ‚hohle Schweigen‘ oder das ‚te taire‘ vom Ende des Candide – als Antwort auf die Frage, wie man leben soll – nicht von den ‚Quengeleien in seinem Hirn‘ befreit. Wie das ‚mais...‘ der Helden Voltaires bohren sie insgeheim weiter und wie in Candide hält die Sehnsucht nach der Geliebten die Reise in Gang. Während Candide aber am Anfang der Reise desertiert und am Ende seinen Garten gründet, bricht Hans Castorp aus seiner „Pflanzstätte“ auf und zieht am Ende in den Krieg. Der Zauberberg wird als amplifizierende Übersetzung und Inversion des lakonischen Aufklärungstextes erkennbar, dem die Veränderungen durch die Zeit eingeschrieben wurden. Eine Antwort enthält weder der ‚Ergebnissatz‘, noch die Frage nach der Liebe am Schluß; die Geschichte bleibt offen auf den unabschließbaren Prozeß der Aufklärung des Menschen über sich selbst.