Komponierte Klangräume in den Symphonien Gustav Mahlers
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Am Ende seines 1969 erstmals erschienen Buches „Gustav Mahler oder Der Zeitgenosse der Zukunft“ versuchte Kurt Blaukopf Gründe für die in den 60er Jahren einsetzende Mahler-Renaissance zu finden. Als einer der ersten Autoren hob er hierbei die intendierte Schaffung realer wie imaginärer musikalisch-räumlicher Klangstrukturen als eines der herausragendsten Momente der Mahlerschen Symphonik hervor. Die ein räumliches Hören von Musik ermöglichende Stereoschallplatte hätte – so Blaukopf – die auf differenziert klangräumliche Wirkung abzielende Musik Mahlers von den raumakustischen Unzulänglichkeiten der jeweiligen Konzertaufführung entkoppelt, und leiste aufgrund zahlreicher adäquater und jederzeit allgemein verfügbarer Aufnahmen von Mahler-Symphonien letztlich den Hauptanteil an der seinerzeit zunehmenden Popularität des Komponisten: „‚Meine Zeit wird erst kommen.‘ Diese Prophezeiung Mahlers hat sich in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts erfüllt. Dazu haben wohl sehr viele und sehr unterschiedliche Faktoren beigetragen. Den stärksten, entscheidendsten aber möchten wir in der Heraufkunft der technisch perfektionierten Stereoplatte erblicken. Mahlers Stunde war gekommen, als die elektroakustische Speicherung und Wiedergabe des Raumklangs möglich wurde. Die Technik bestimmte in hohem Grade den Beginn der neuen Mahler-Epoche. […] Mahlers Versuche, zu einer sorgsamen Raumklangregie zu gelangen, sind aus den Partituren seiner Symphonien abzulesen. ‚Fernorchester‘ oder Einzelinstrumente, die ‚wie aus der Ferne‘ klingen sollen, bilden integrierende Elemente seiner Musik.“ Obschon diese einen direkten Zusammenhang zwischen Stereotechnik, die „halligen Fernklang von deutlicher Nähe abzuheben“ in der Lage ist, und Popularität der Musik Mahlers herstellenden Ausführungen Blaukopfs eine verhältnismäßig große Resonanz hatten, wurden seine weiterführenden Überlegungen bezüglich der raumakustischen Sensibilität Mahlers wie der meist damit verbundenen Realisierung komponierter Klangräume innerhalb seiner Symphonik wenig beachtet. Mit einem 1974 gedruckten Interview György Ligetis („Musik und Raum“), in dessen Mittelpunkt komponierte Klangräume in Mahlers Symphonik standen, rückte der Themenbereich wieder mehr in den Fokus der Betrachtung. In den folgenden Jahren wurden von einigen Autoren bei der Beschreibung musikalisch-räumlicher Strukturen Ausschnitte von Mahlers Symphonien streckenweise beispielhaft genannt, musikalisch-räumliche Wirkungen seiner Musik zum Teil auch etwas ausführlicher behandelt, so daß eine Erwähnung oder kurze Untersuchung komponierter Klangräume schließlich auch vereinzelten Eingang in die Mahler-Literatur fanden. Diese sporadischen Hinweise, die in Umfang, Methode, Vokabular und Intentionen zum Teil grundverschieden sind, wurden bisher nicht zum Anlaß einer detaillierten Untersuchung musikalischer Verräumlichung in Mahlers Symphonien genommen, obwohl der Themenbereich zusehends mehr beachtet wurde.