Kirchlichkeit zwischen Ambivalenz und Eindeutigkeit
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Im Gegensatz zum Kirchenaustritt, bei dem es sich in Deutschland um ein Massenphänomen handelt, stellt der Wiedereintritt in eine der beiden großen deutschen Konfessionskirchen ein eher seltenes Phänomen dar. Im Zeitraum zwischen 1990 und 2000 hat sich allerdings die Anzahl der Wiedereintritte in die römisch-katholische Kirche innerhalb Deutschlands von knapp 5.000 auf über 8.000 nahezu verdoppelt. Über die Motive und Anlässe, die Menschen zu diesem Schritt führen, ist insgesamt wenig bekannt. Im Gegensatz hierzu wurde der Übertritt von einer Konfession zu einer anderen religionssoziologisch bereits umfangreich aufgearbeitet, zumeist unter dem Stichwort der 'religiösen Konversion'. Für eine Beschäftigung mit dem Phänomen des 'Kirchenwiedereintritts' fehlten bislang grundsätzliche soziodemographische Daten, da diese nicht zentral durch die kirchlichen Statistikstellen erfasst bzw. offiziell bereitgestellt werden. Durch die Möglichkeit zur Einsichtnahme in Daten des Archivs der südwestdeutschen Erzdiözese Freiburg konnten die entsprechenden Informationen für die Jahre 1990 und 1996 bis 2000 im Bezug auf Über- und Wiedereintritt erfasst und im Vergleich zu bisher im Bezug zur evangelischen Kirche veröffentlichten Untersuchungen aufgearbeitet werden. Um weitergehend auch einen Zugang zu individuellen Motiven und Anlässen für den Wiedereintritt bzw. Übertritt zu erhalten, wurden insgesamt 24 Personen aus beiden Teilgruppen in Form narrativer Erzählinterviews befragt. Ausgehend von deren Angaben wurden Typen des Wiedereintritts und Übertritts gebildet, die das Spektrum der entsprechenden Motivlagen wiedergeben. Bei beiden Teilgruppen zeigten sich gleichermaßen vier grundsätzliche funktionale Vorstellungen von Kirche. Diese sogenannten 'Kirchenbilder' orientieren sich jeweils an der Gewichtung der individuellen Einschätzung religiös-kirchlicher Inhalte bzw. kirchlich-sozialer Beziehungen. Ein zentraler Unterschied zwischen beiden Teilgruppen zeigte sich hingegen darin, dass Personen, die einen Übertritt vollziehen vorrangig eine eindeutige und positive Haltung gegenüber der Institution Kirche betonten, während das Kirchenverhältnis von Wiedereingetretenen tendenziell uneindeutig blieb. Diese Uneindeutigkeit wurde als ambivalente Haltung bezeichnet. Ambivalenz steht hier für ein allgemeines soziologisches Konzept, das Erfahrungen und Einsichten von Widersprüchen des Handelns und individueller Entwicklungen im Horizont einer prinzipiellen Unauflösbarkeit zu erfassen sucht. Ambivalenz innerhalb des Kirchenverhältnisses wurde von den Wiedereintretenden dabei entweder in Kauf genommen oder weitergehend sogar angestrebt, um sich bestimmten kirchlichen Mitgliedschaftserwartungen und -normen zu entziehen. Abschließend werden Perspektiven und mögliche Reaktionen aufgezeigt, die sich durch eine solche 'ambivalente Kirchlichkeit' für das Verhältnis zwischen der Institution Kirche und ihren Mitgliedern ergeben.