Gerhart Hauptmann im Spannungsfeld von Kultur und Politik 1880 bis 1919
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Unterteilt man die Kultur des Kaiserreichs in eine Repräsentativkultur, die offiziell sanktioniert wurde, und eine in Opposition zu ihr stehenden Moderne, so gehörte Hauptmann mit seinem naturalistischen Frühwerk zunächst zweifellos der literarischen Moderne an. Die Grenzen zur Repräsentativkultur wilhelminischer Prägung wurden jedoch um die Jahrhundertwende durchlässig. Seine Werke, das künstlerische Selbstverständnis und die Stellungnahmen zur gesellschaftlichen Rolle der Kunst offenbaren sukzessive eine konservative Lebenswende, die vor allem den Rückzug des Künstlers aus der gesellschaftlichen Verantwortung beinhaltete. Mit der Verleihung des Nobelpreises war die Position im großbürgerlichen Milieu gefestigt. Er avancierte zum ›Dichterfürst‹ und kulturellen Repräsentanten des spätwilhelminischen Deutschland, dessen beträchtliches Renommee im In- und Ausland zum kulturellen Aushängeschild der deutschen Nation wurde. Das 1913 verfaßte 'Festspiel in deutschen Reimen' verlieh Hauptmanns spezifischem Nationsverständnis Ausdruck. Es fand darin eine Synthese liberaler und nationaler Gedanken statt. Die sich an das 'Festspiel' anschließende öffentliche Kontroverse über die nationale Redlichkeit des Stücks zeigte einmal mehr, das Hauptmanns Einsicht in die politische Wirksamkeit seines Schaffens durch einen unpolitischen Idealismus verdeckt wurde, der sich in gesellschaftspolitischer Hinsicht keiner Rechenschaft verpflichtet fühlte und paradigmatisch war für den Rückzug der bürgerlichen Intelligenz aus der Sphäre der Politik. Hauptmanns postulierte Dichotomie von Kunst und Politik, Dichter und Staatsbürger, trug einerseits zur Stabilisierung des wilhelminischen Obrigkeitsstaates bei, da sich Hauptmann unter Berufung auf die 'innere Freiheit' des Künstlers jeglicher politisch motivierter Kritik an den bestehenden Zuständen enthielt, andererseits war sie als Teilkomponente für Hauptmanns ausbleibende kritische Distanz zum Kriegsausbruch 1914 verantwortlich. Denn seiner Auffassung nach hatte der ›Dichter‹ zwar unpolitisch zu sein, als ›Staatsbürger‹ war er aber durchaus verpflichtet, sich in Zeiten nationaler Bedrängnis loyal und notfalls mit der Waffe hinter das Vaterland zu stellen. Neben dem unpolitischen Selbstverständnis manifestierte sich hier der zweite wirkungsmächtige Faktor, der eine Konstante seines Lebens bleiben sollte: Die Loyalität zum Vaterland war für das Bewußtsein Hauptmanns die maßgebliche und alle sonstigen politischen und auch moralischen Erwägungen übersteigende Verpflichtung, der er sich auch im Ersten Weltkrieg nicht entzog. Das stets wiederkehrende Postulat der 'inneren Einheit' Deutschlands betonte Hauptmann in der Öffentlichkeit leitmotivisch bis zum Ende der Weimarer Republik. Hauptmanns Nationsverständnis war dabei nicht von politischen Determinanten geprägt. Er stellte die Kulturnation über den verfassungsmäßigen Staat und verharrte damit in der überkommenen Traditionslinie eines romantischen Nationalismus, der sich seit der 1848er Revolution längst politisiert und sich nach der Reichsgründung von einem ›linken‹, emanzipatorischen zu einem ›rechten‹ Nationalismus gewandelt hatte.