Schnitt durch die verkehrte Merzwelt
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Das ästhetische Programm wie das Prosawerk von Kurt Schwitters stellen eine Ausnahmeerscheinung innerhalb der Avantgardebewegungen Anfang des 20. Jahrhunderts dar. Die besonders ab 1923 nahezu unerforschte Prosa ist aus wissenschaftlicher Sicht unwegsames Gelände, weil sie neben traditionell verfassten Erzählungen auch Texturen beinhaltet, die aus scheinbar ‚rohen’ fragmentarischen Material- und Sprachkaskaden bestehen und gegen die Anlage der Prosa als Werk sprechen. Diese Studie verknüpft beide Komponenten und möchte – entgegen der in der Forschung propagierten Anschauung – die These überprüfen, inwieweit sich aus der Perspektive des Spätwerks ein Werkcharakter rückwirkend einstellt. Intermediale Zitate und literarische Topoi, mit deren Hilfe Schwitters Gattungsmuster verkehrt, erschaffen ein diskursiv und formal vernetztes Werk, als dessen ostentativer Höhepunkt der Merz-Bau zu gelten hat, der wie das gesamte künstlerische Œuvre auch als Motiv in der Prosa verwendet wird. Wirkt das gedrängte Zitatmaterial in der frühen Prosa wie ein labyrinthisches Vexierbild, das je nach Gewichtung des Interpreten unterschiedliche Szenographien erstehen lässt, kann dies auch als ein maschinelles Verfahren entschlüsselt werden, in dem Sprache zum frei spielbaren Material wird. Darüber hinaus spiegelt Schwitters’ Prosa die Rezeption vieler zeitgenössischer Theorien und Kunststile wider, die die Gestaltungsweise seiner Figuren prägen, setzt darin aber auch in widersprüchlicher Weise eigene kunsttheoretische Reflexionen um. Letztere führen wiederholt zu einer autobiographischen Positionsbestimmung in der Spätprosa der Exilzeit, in der die Gradwanderung zwischen Traum und Wirklichkeit thematisch wird. Das späte Œuvre ist letztlich Spiegel einer Selbstinszenierung als Maler, in der Schwitters seinen eigenen Mythos konstruiert.