Ethnologie im Nationalsozialismus
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Ausgangspunkt für die vorliegende Untersuchung waren unbeantwortete Fragen zum Leben und Werk des wissenschaftlichen Autors der kunstethnologischen antifaschistischen und antirassistischen Propagandapublikation „The Savage Hits Back“, dessen Name Julius E. Lips auch für die seinerzeit heiß umstrittene wirtschafts- und rechtsethnologisch begründete Erntevölkertheorie steht. Bis 1933 sozialdemokratischer Direktor des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museums und Professor der Kölner Universität, emigriert Lips 1934 in die USA und engagiert sich gemeinsam mit seiner Ehefrau Eva aktiv für den Widerstand gegen das nationalsozialistische Deutschland. Durch die Vermittlung von Heinrich Mann folgt Lips 1948 einer Berufung an die Universität Leipzig in die sowjetisch besetzte Zone, wo er 1949 zum Rektor gewählt wird und Anfang 1950 verstirbt. Als Vorzeigewissenschaftler der DDR bis zur Wende spaltet Julius Lips das eigene Fach bis heute wie kein anderer. Seine Wissenschaftsbiographie, die sich im Kontext des aufdämmernden, sich manifestierenden und bis in die Nachkriegszeit nachwirkenden Nationalsozialismus vollzieht, lässt von den 1920er bis in die 1960er Jahre Schlüsselvertreter und -institutionen eines Faches lebendig werden, das nach 1945 die Erarbeitung der eigenen NS-Vergangenheit über Jahrzehnte verdrängt und Lips’ Leben und Wirken später zumindest teilweise tendenziös herabwürdigend akzentuiert. Währenddessen wandelt sich das Fach, das früher „Völkerkunde“ hieß, zu einer deutschsprachigen Variante einer transnational ausgerichteten, global eingebundenen Ethnologie (oder Kultur- und Sozialanthropologie), die nationalen und regionalen Befindlichkeiten weniger Relevanz beimisst und eine kritisch distanzierte Fachgeschichtsschreibung ermöglicht, die nüchtern an Fakten orientiert bleibt. Die Herausgeberin des vorliegenden Bandes und Autorin seines ersten Teils, Ingrid Kreide-Damani, verbindet die Wissenschaftsbiographie des engagierten Antifaschisten Julius Lips mit einer entsprechenden Untersuchung über den überzeugten Nationalsozialisten Martin Heydrich, der zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zum ersten Ordinarius für Völkerkunde der Universität Köln avanciert. Diese Gegenüberstellung resultiert aus der Erarbeitung eines zuvor unzugänglichen Teilnachlass von Martin Heydrich, der jahrzehntelang offiziell nicht verzeichnet im 2009 eingestürzten Kölner Stadtarchiv schlummerte. Das umfangreiche Quellenmaterial dokumentiert die Verbindung zwischen den beiden gegensätzlichen Vertretern einer gemeinsamen Wissenschaftsdisziplin vor dem Hintergrund der bislang ungeschriebenen Geschichte der deutschen Gesellschaft für Völkerkunde, die in Grundzügen bis zum Ende der 1950er Jahre erarbeitet nun erstmals vorliegt. Mit Julius Lips’ wissenschaftlichem Werk, das nach seinem frühen Tod von seiner Ehefrau Eva Lips in Leipzig fortgeführt wird, setzen sich die Autoren des zweiten Teils auseinander. Dabei reichen die Kontexte des Wirkens des Ehepaares Lips bis in die Nachkriegszeit der DDR, wo nach dem Vorbild der UdSSR in Museen, Lehre und Forschung Ethnographie wissenschaftspolitisch hoher Stellenwert beigemessen wird. Dass die Leser von den vorgelegten Ergebnissen keine „fertigen“ Antworten erwarten dürfen, die als endgültig zu verstehen sind, unterstreicht der einleitende Beitrag von Andre Gingrich, der den vorliegenden Band im Vergleich mit bisher zum Thema erschienenen Publikationen solide ausgewogene Sachlichkeit bescheinigt.